Um eines vorneweg klar zu sagen: Wäre die Anzahl der streitgegenständlichen Postings nicht so groß, wäre der Informationsgehalt der Postings nicht so flach und wäre der Zeitpunkt der Bewerbung nicht gerade vor der Bundestagswahl gewesen, würden wir heute vermutlich nicht darüber reden müssen. Angesichts von 129 Werbeanzeigen auf Facebook, bei denen mittels „Microtargeting“ gezielt potenzielle Wähler der Grünen adressiert wurden, und das auch noch zum Teil vor der Bundestagswahl, müssen wir diesem von den Medien aufgedeckten Skandal nachgehen. Denn so trivial die Sache auf den ersten Blick aussehen mag, sie ist es nicht. Mehrere Verfassungsrechtler haben diese Werbepraxis des Ministeriums für Klima, Umwelt, Energie und Mobilität bereits als illegal und verfassungswidrig kritisiert. Mit dieser Einschätzung liegen sie unserer Meinung nach richtig.
Zwei Fragen gilt es zu beleuchten: Bewegte sich das Ministerium für Klima, Umwelt, Energie und Mobilität mit der Werbung auf Facebook dem Grunde nach im gesetzlich Rahmen? Und wenn ja, tat es das auch im Besonderen?
Erfassen wir zunächst einmal den Tatbestand: Das Ministerium betreibt einen Facebook-Kanal. Dort stellt es Postings ein. Diese Postings werden teilweise beworben. Das Bewerben erfolgt unter Zuhilfenahme von Microtargeting. Für die, die nicht wissen was das ist: Mittels Microtargeting werden Inhalte bestimmten, vorausgewählten Zielgruppen vorrangig gezeigt. Ziel ist es, möglichst effizient diejenigen zu erreichen, die am wahrscheinlichsten positiv auf die Inhalte reagieren. Wie auf Seite 11 der Antwort zur Großen Anfrage zu lesen, hatte das Ministerium diese Werbepraxis bei sich etabliert, um „Nutzer zielgerichtet und effizient mit den Social-Media-Maßnahmen zu erreichen, bei denen ein großes Interesse an umweltpolitischen Themen vermutet wurde“. Damit hat das Ministerium zugegeben, grundsätzlich keine Bedenken an dem Instrument des Microtargeting zu haben. Aber darf das Ministerium dieses Instrument überhaupt benutzen?
Wer diese grundsätzliche Frage beantworten will, der muss tiefer in die Rechtsmaterie der Legitimation staatlicher Öffentlichkeitsarbeit einsteigen.
Ein Exkurs:
Regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit soll den Bürger informieren, Kontext zu Entscheidungen und politischen Vorgängen liefern, die Institutionen und Prozesse der Demokratie vorstellen und die Tätigkeit und Aufgabenerfüllung der Institutionen öffentlich dokumentieren. Dies soll die politische Willensbildung begünstigen und den Bürger in die Lage versetzen, eine informierte und möglichst unbeeinflusste Wahlentscheidung zu treffen sowie sich allgemein in den demokratischen Prozess einzubringen. Die Grenze des Ganzen ist dabei also der Grundsatz der Staatsfreiheit der Willensbildung. Denn, wie schon das Bundesverfassungsgericht 1966 festgestellt hat: „In einer Demokratie muss sich die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen. Die Staatsorgane werden durch den Prozess der politischen Willensbildung des Volkes, der in die Wahlen einmündet, erst hervorgebracht (Art. 20 Abs. 2 GG). Das bedeutet, dass es den Staatsorganen grundsätzlich verwehrt ist, sich in Bezug auf den Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes zu betätigen, dass dieser Prozess also grundsätzlich „staatsfrei“ bleiben muss.“ (Satz aus Parteifinanzierungsurteil BVerfG 1966, S. 139)
Demnach ist eigentlich klar: Staatliche Öffentlichkeitsarbeit umfasst zwar alle Kommunikationsmaßnahmen, die an einen personell unbeschränkten Empfängerkreis adressiert sind und der Herstellung von Öffentlichkeit für den Staat, seine Institutionen und seine Tätigkeiten dienen. Nicht gedeckt ist dadurch hingegen die Verbreitung von Trivia, die oben genannten Zwecke nicht erfüllt oder nicht zumindest im Sinne der Einbindung der Bürger in den demokratischen Diskurs Wirkung erzielt. Gezielte Werbung mittels Microtargeting, also die finanzierte Ansprache bestimmter Personengruppen, ist demnach ebenso nicht Teil der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit, da diese Werbeform nicht alle Staatsbürger gleichermaßen anspricht, sondern nur die, die als Zielgruppe definiert wurden, und zudem nicht der allgemeinen politischen Willensbildung, sondern eher der Beeinflussung der privaten Willensbildung zuzuordnen sein dürfte. Durfte das Ministerium also einzelne Facebook-Postings zielgerichtet bewerben? Ich meine: nein! Ich meine, dass das Ministeriums für Klima, Umwelt, Energie und Mobilität schon dem Grunde nach nicht legitimiert war, Postings mittels Microtargeting an Zielgruppen zu richten, bei denen ein großes Interesse an umweltpolitischen Themen vermutet wurde. Für mich widerspricht das dem Grundsatz der Staatsfreiheit der Willensbildung und dem Aspekt der gleichen Teilhabe aller Staatsbürger an Informationen.
Aber selbst wenn man – warum auch immer – dies annehmen würde, so müssten sich die in der großen Anfrage aufgeführten Postings zumindest an den vom Ministerium selbst gestellten Grundsätzen messen lassen. Auf Seite 9 der Antwort auf die Große Anfrage heißt es „So darf die Öffentlichkeitsarbeit zum einen nicht plakativ sein. Zum anderen sind die Staatsorgane in zeitlicher Hinsicht zu äußerster Zurückhaltung kurz vor Wahlterminen angehalten.“ Auf Seite 10 heißt es: „Vielmehr stand bei den Anzeigen der informative Charakter des Publizierten im Vordergrund.“
An einen dieser Kriterien hat sich das Ministerium schon mal nicht gehalten – der Zurückhaltung vor Wahlterminen. Sind es doch im Briefwahlzeitraum vor der Bundestagswahl immerhin 18 Stück!
Wenn man sich nur diese 18 Werbeanzeigen ansieht, stolpert man recht schnell über die in der Antwort auf die Große Anfrage aufgeführten Nummern 9, 12, 13 und 14, bei denen für den objektiven Empfänger nicht zwingend direkt eine Verbindung zur Arbeit des Umweltministeriums herzustellen ist.
„Feldhamsterschutz“ (Nr. 9), „Ehrenamtstag“ (12), „#Fahrradliebe“ (13), „Vielfaltsgarten“ (14). Nr. 9 zeigt einen Feldhamster ohne nähere Erklärung. Hier geht es weniger um die Information als um die Emotion. Auch beim Motiv „Ehrenamt“ ist ein Zusammenhang mit der Ministeriumsarbeit nicht zu erkennen. Zu sehen sind eine Dame mit „Weltherz“ und der Beschriftung „Omas for future – plus Opas“ sowie deutlich erkennbar Sonnenblumen, dem allgemein bekannten Logo der Bündnis90/DIE GRÜNEN, wenngleich der Schriftzug der Partei fehlt. Wo ist hier ein informativer Charakter des Ministeriums erkennbar? Nüchtern betrachtet ist es eine Anzeige für die Grünen. Denn für den objektiven Empfänger sieht es wegen der Sonnenblumen aus wie eine Werbeanzeige der Grünen.
Nr. 14 – Vielfaltsgarten: Hier wurde das Motiv so gewählt, dass Ministerin Spiegel im Vordergrund steht. Die Schärfe im Motiv wurde auf sie gelegt. Die Pflanzen im Hintergrund sind teilweise stark verschwommen. Was soll uns dieser „Garten“ wohl sagen? Die Spitze ist für mich aber die Nummer 13 (Fahrradliebe): Ein kleiner Clip wie Ministerin Anne Spiegel auf dem Rad dem Betrachter entgegenfährt. Wo ist hier bitte die Information? Welcher Informationsgehalt stellt sich dem User beim Anblick der radelnden Ministerin?
Aus meiner Sicht ist der Informationsgrad dieser Anzeigen nicht wirklich hoch. Diese Anzeigen sind plakativ, diese Anzeigen haben wirklich nur einen Sinn: Die damalige Landesministerin Spiegel gut aussehen zu lassen. Am Ende meiner Rede kann ich eigentlich nur anregen, dass sich der Rechnungshof mit diesem ganzen Vorgang mal näher befasst und beleuchtet, ob diese Praxis wirklich rechtmäßig war. Ich habe meine Zweifel.
Es gilt das gesprochene Wort.