Antrag der FREIE-WÄHLER-Fraktion
„Im Namen des Volkes“ ergeht folgendes Urteil… Wer von uns hat diesen Satz nicht schon mal gehört oder gelesen? Aber was bedeutet dies eigentlich? Dies wird uns dieser Tage wieder vor Augen geführt, wenn händeringend nach Laien gesucht wird, die sich für die nächste Amtsperiode ab 2024 als ehrenamtliche Richter bereit erklären, zusammen mit Berufsrichtern Recht zu sprechen. Und zugleich sich dazu bereit erklären, dieses Ehrenamt gleich für fünf Jahre auszuüben und damit ihrer Bürgerpflicht nachzukommen. 12 Sitzungen im Jahr sind vorgesehen, können aber auch schnell mehr werden und verlangen den ehrenamtlichen Richtern ein hohes Maß an Flexibilität ab, zeitlich und persönlich.
Etwa 60.000 Schöffen werden bundesweit benötigt. Aktuell sind in Rheinland-Pfalz 1.620 Hauptschöffen tätig, mit Ersatzschöffen, sind es 2.800 Personen. Tendenz steigend. Allein bei mir in Koblenz am dortigen Landgericht werden derzeit 288 ehrenamtliche Richter gebraucht. Und hier reden wir nur von den gewählten ehrenamtlichen Richtern. Die Kommunen müssen aber auf ihren Vorschlagslisten das doppelte Kontingent vorschlagen. Mithin reden wir hier von der Mammutaufgabe bundesweit 120.000 geeignete Personen auf die Vorschlagsliste zu setzen.
Und die Kommunen sind sich einig, dass eine Zwangsverpflichtung ein Ehrenamt für fünf Jahre auszuüben hier nichts bringt, sondern dass man auf Freiwilligkeit setzen muss. Mit einer Zwangsverpflichtung von Schöffen, um dem benötigten Bedarf gerecht zu werden, tuen wir weder den Personen, den Amtsgerichten, noch uns – der Gesellschaft – einen Gefallen. Dabei ist die Lösung so einfach: Nutzen wir die Ressourcen, die wir haben und geben älteren Menschen, die Zeit und Lust haben, die Gelegenheit, sich ehrenamtlich in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Denn wo haben wir besser die für das Schöffenamt so wichtigen Voraussetzungen von Lebenserfahrung und Menschenkenntnis abgebildet als hier?! Wer zum richten über Menschen berufen ist, braucht Verantwortungsbewusstsein für den Eingriff durch das Urteil in das Leben anderer Menschen – dies sollte uns allen klar sein.
Die Diskussion um die Abschaffung oder Anhebung der Altersgrenze für Schöffen ist nicht neu, das ist uns bewusst, Herr Minister Mertin, aber drängender denn je. Den Kommunen fehlen hier und jetzt tausende Schöffen für ihre Listenaufstellung. Lokale und überregionale Medien berichten mittlerweile mindestens wöchentlich über das Thema der Suche nach ehrenamtlichen Richtern. Exemplarisch verweise ich hier auf den Bericht in der Landesschau Rheinland-Pfalz vom 25. Januar 2023 oder den Artikel in der Rhein-Zeitung vom 6. Februar 2023. Bundesweit läuft eine große Kampagne zur Schöffenwahl 2023 mit dem schönen Titel „WIR SCHÖFFEN DAS!“
Ja, wir können es schaffen, dass dieses Ehrenamt mit geeigneten Personen aus unserer Gesellschaft besetzt wird, aber dafür müssen wir unsere Kommunen bei der Listenaufstellung auch bestmöglich unterstützen. Zu den Anforderungen an dieses so wichtige Amt und auch die wiederholten Diskussionen zu der Frage, ob die Altershöchstgrenze für die Zulassung zum Schöffenamt noch zeitgemäß ist, oder ob auf sie verzichtet werden sollte, hatten Sie sich, Herr Mertin, im Rahmen der Sitzungen des Rechtsausschusses vom 24. Januar 2019 und 3. Juni 2022 und zuletzt auch in der Rheinzeitung vom 6. Februar 2023 leider ablehnend geäußert. Richtigerweise führen Sie an, dass sich die allgemeine Lebenserwartung wie die körperliche und geistige Fitness von Senioren in den vergangenen Jahren grundsätzlich erhöht hat. Sie bemühen dann aber leider wieder die seit Ewigkeiten kursierende Annahme, dass ein krankheitsbedingter Ausfall mit zunehmendem Alter wahrscheinlicher werden dürfte.
Diesen Stillstand in der Argumentation können wir FREIE WÄHLER nicht nachvollziehen, besteht doch in allen Fällen das Risiko, dass ein Strafverfahren „platzen“ kann, weil ein Schöffe krankheitsbedingt für längere Zeit ausfällt. Auch stellen Sie, Herr Minister, generell in Frage, ob sich eine Anhebung der Altersgrenze im Ergebnis tatsächlich positiv auf die Gewinnung von Schöffen auswirken würde. Worauf Sie diese Behauptung gründen, müssten Sie mir gleich erklären, zeichnet mein Austausch mit dem Seniorenbeirat der Stadt Koblenz oder der Landeseniorenvertretung Rheinland-Pfalz doch ein anderes Bild. Nicht ohne Grund richtete die Europäische Union bereits 2012 (im Rahmen der Nikosia-Konferenz), im europäischen Jahr des aktiven Alterns, an die Mitgliedsregierungen den Auftrag, die Teilhabe älterer Menschen auf allen Entscheidungsebenen sicherzustellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen wir diesen und den explizit in § 36 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz vorgegebenen Auftrag ernst und sorgen für eine Ausgestaltung des Schöffenamtes, die unsere heutige pluralistische Gesellschaft sachgerecht auf der Richterbank wiederspiegelt und treten für die Abschaffung oder zumindest Anhebung der Altershöchstgrenze auf Bundesebene ein.
Das Ehrenamt sollte immer auf Freiwilligkeit setzen und nicht auf Zwang. Erkennen wir auch hier die Zeitenwende und geben älteren Menschen wieder eine Stimme und die Chance sich zum Wohle unserer Gesellschaft einzubringen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Der Antrag wurde mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und CDU abgelehnt.