Streit und Wefelscheid: Zu geringe Freibeträge gefährden Familiensitz und führen zu vermeidbaren Notverkäufen / Entschließungsantrag fürs Plenum eingereicht
MAINZ. Wer gegen Jahresende einen Termin beim Notar bekommen wollte, musste lange warten. Denn auf der Tagesordnung der Notare standen zum Jahresende viele notarielle Schenkungsurkunden. Viele kennen das Sprichwort: „Mit warmer Hand schenken, ist besser als mit kalter Hand.“ Und so wechselten noch schnell viele Immobilien den Eigentümer, bevor zum 1. Januar 2023 die neuen Regelungen zur Immobilienbewertung der Erbschaft- und Schenkungssteuer greifen konnten. Denn diese haben es in sich. Obwohl seit 2009 die Freibeträge für Erbschaft- und Schenkungsteuer – trotz gestiegener Grundstücks- und Immobilienpreise – nicht mehr erhöht wurden, wurde die Änderung des Sachwertverfahrens und die Anhebung des lageabhängigen Faktors angepasst.
Heißt konkret: Eine Immobilie, die im Jahr 2009 einen Verkehrswert von 400.000 € hatte und mit dem lageabhängigen Faktor von 1,0 multipliziert wurde, konnte an ein Kind ohne Überschreitung des Freibetrages von 400.000 € vererbt werden, demnach fiel keine Erbschaftsteuer an. Selbige Immobilie würde nach durchschnittlicher Verkehrswertsteigerung und dem alten Berechnungsmodell heute mit rund 700.000 € bemessen werden, zudem wird dieser Wert nun mit dem Faktor 1,4 multipliziert. Dementsprechend wird diese Immobilie nun mit 980.000 € bewertet, was 580.000 € oberhalb des Freibetrages liegt. In Steuerklasse I fällt damit eine Steuerlast von 63.800 €, in der Steuerklasse II von 116.000 € und in der Steuerklasse III von 174.000 € an. Auch die Umgehung dieser Steuerlast durch eine zehnjährige Eigennutzung (Bedingung: Wohnfläche kleiner als 200 Quadratmeter) kann zu erheblichen Problemen führen, da etwa bei einem Umzug aus beruflichen oder privaten Gründen innerhalb der zehn Jahre die volle Steuerlast nachzuzahlen ist.
Die FREIE-WÄHLER-Landtagsfraktion hat dies zum Anlass genommen, für das in dieser Woche bevorstehende Plenum einen Entschließungsantrag einzureichen, mit dem sie erwirken will, dass die Erbschaft- und Schenkungsteuer an die aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen angepasst wird. Unter anderem sollen die Freibeträge bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer deutlich erhöht werden.
„Es ist höchste Zeit, dass die Freibeträge der Erbschaft- und Schenkungsteuer erhöht und damit der wirtschaftlichen Realität angepasst werden. Zwar ist es richtig, dass im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft größte Vermögen im Rahmen der Besteuerung auch für die Finanzierung des Allgemeinwohls herangezogen werden. Dies darf aber nicht dazu führen, dass wegen zu geringer Freibeträge am Ende Kinder gezwungen sind, anstatt mit ihrer eigenen jungen Familie in das Elternhaus ziehen zu können, nach dem Tod ihrer Eltern die Immobilie verkaufen zu müssen, nur um die Steuer bezahlen zu können. Die Erbschaftsteuer darf nicht dazu führen, dass unser gewachsener Ansatz des Familiensitzes in der Heimat aufgegeben werden muss, um die Steuern zahlen zu können. Dies ist nämlich logische Folge davon, dass die gestiegenen Immobilienpreise zu geänderten Bewertungen führen und der neue lageabhängige Faktor die Erben mit unbezahlbaren Steuerforderungen konfrontiert“, begründet der Parlamentarische Geschäftsführer der FREIE-WÄHLER-Landtagsfraktion, Stephan Wefelscheid, die Beweggründe zu diesem Antrag. „Das Leben im elterlichen Haus hat sich in unserer bundesrepublikanischen Zeit als eine tragende Säule für Wohlstand und Sicherheit herausgebildet. Wer das gesellschaftliche Ziel verfolgt, mehr Menschen auch für das Alter mit einem bezahlten Dach über dem Kopf abzusichern, muss die Freibeträge der Erbschaft- und Schenkungssteuer anheben.“
Auch Fraktionsvorsitzender Joachim Streit sieht dringenden Handlungsbedarf: „Die neuen Bewertungen und zu geringen Freibeträge führen für manch einen Erben zu unbezahlbaren Steuerforderungen. Das führt nicht selten dazu, dass viele Erben sich in der Zwangslage wiederfinden, das Häuschen der Oma oder der Eltern verkaufen zu müssen, weil die Erbschaftsteuer sonst nicht beglichen werden kann. Schon jetzt gehen viele Häuser aus langjährigem Familienbesitz wegen der hohen Erbschaftsteuer vielfach an Investoren. Die Folge ist damit insbesondere in Städten auch, dass die Mieten noch stärker steigen. Zudem bleibt auf diesem Weg Eigentum nicht mehr in der bürgerlichen Gesellschaft“, so Joachim Streit, der weiter ausführt: „Die Erbschaftsteuer ist leistungs- und eigentumsfeindlich. Die Leistungsbereitschaft der Eltern und Großeltern ist auch darin begründet, dass sie für ihre Nachkommen Werte schaffen. Bei der Vererbung ist es ja häufig der Fall, dass das Häuschen in Familienbesitz bleibt.“