Joachim Streit zur Verfassungsänderung hinsichtlich der Übernahme von Liquiditätskrediten der Kommunen durch das Land
MAINZ. In seiner Plenarsitzung am Donnerstag, 31. März, wird der Landtag Rheinland-Pfalz über die Änderung des Artikels 117 der Verfassung für Rheinland-Pfalz zur Übernahme von Liquiditätskrediten der Kommunen abschließend beraten. Ein vorliegendes Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes bestätigt die Möglichkeit der Verfassungsänderung. Joachim Streit gilt durch seine Erfahrungen als langjähriger Landrat und Bürgermeister als profunder Kenner der Situation der Kommunalen Finanzen und hat dieses Thema als Fraktionsvorsitzender der FREIEN WÄHLER stets in den Mittelpunkt seines politischen Wirkens gerückt.
Seine Gedanken und Meinung lesen Sie hier:
Die Altschuldenbefreiung durch das Land ist redlich
Die Gemeinden in Rheinland-Pfalz haben über 12 Milliarden Schulden. Diese teilen sich hälftig auf in Investitionskredite und Kassenkredite. Soweit man Schulden überhaupt mit den Adjektiven gut und böse umschreiben kann, sind gute Schulden die Investitionskredite, die Vermögen schaffen, so dass den Krediten auch Werte (Schulgebäude, Straßen, Kitas) gegenüberstehen. Schlechte Schulden sind die Kassenkredite oder Liquiditätskredite. Vergleichbar mit einem Privathaushalt sind Hypotheken zum Hausbau gute Schulden, da ich Vermögen schaffe; Kredite, um meinen Konsum zu finanzieren, führen nur zu einem Verzehr von Vermögen und sind deshalb schlechte Kredite, so als ob man das Girokonto immer weiter überzieht, ohne Einnahmen zur Deckung zu haben.
Leider waren viele Dörfer, Städte und Kreise gezwungen, Konsumkredite, Kassenkredite aufzunehmen, da ihre Finanzausstattung zu gering ist.
Die schlechten Kredite betragen bei den Kommunen in Rheinland-Pfalz über 6 Milliarden Euro. Diese Kredite sind unter anderem entstanden, weil das Land die Kommunen seit 20 Jahren entgegen Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG i. V. m. Art. 49 Abs. 6 S. 1 Landesverfassung RLP mit zu wenig Geld ausstattet. Dies hat in den Jahren 2012 und 2020 zu zwei Urteilen des Verfassungsgerichtshofes RLP (VGH) geführt, in denen dem Land Verfassungswidrigkeit bei der Finanzierung der Kommunen attestiert wurde.
Das heißt, die jetzige Altschuldenbefreiung ist redlich und hilft einen verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Es ist ein 3 Milliarden schweres Unterfangen.
Schulden der Gemeinden sind Schulden des Landes
Grundsätzlich gibt es in Deutschland keinen dreiteiligen Staatsaufbau mit Bund, Land und Kommunen, sondern der Staat besteht föderal aus dem Bund und den Ländern, als ein Zwei-Säulen-Prinzip. Kommunen werden im Grundgesetz und der Landesverfassung genannt, sind aber im Organisationsaufbau in Deutschland keine dritte Säule. Die Kommunen haben eine verfassungsmäßige Bestandsgarantie. Wenn der Staat nur aus zwei Säulen besteht, sind die Schulden der Kommunen einer Säule zuzuordnen – und das ist die Säule Länder. Die Schulden von Gemeinden sind also Schulden des jeweiligen Bundeslandes. „Das Land hat den Gemeinden und Gemeindeverbänden auch die zur Erfüllung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu sichern“, so die Landesverfassung in Rheinland-Pfalz Art. 49.
Für die übertragenen Aufgaben ist das verständlich und entspricht dem Konnexitätsprinzip. Aber auch für die „eigenen“ Aufgaben sind Mittel im Rahmen des Kommunalen Finanzausgleichs bereitzustellen und des Weiteren ein „Lastenausgleich“ zu gewährleisten. Die Kassenkredite – auch Liquiditätskredite genannt – der Gemeinden und Gemeindeverbände sind in den Jahren bis Ende 2009 auf rund 6 Milliarden Euro in Rheinland-Pfalz gestiegen. Dem versuchte man mit dem neu entwickelten Kommunalen Entschuldungsfonds ab dem Jahre 2012 entgegenzusteuern – mit dem Ergebnis, dass heute die Girokonten der Kommunen mit über 6 Milliarden Euro an Liquiditätskrediten in der Kreide stehen. Mit den Urteilen des VGH aus den Jahren 2012 und 2020 lässt sich argumentieren: Hätte das Land bei Zeiten einen „wirksamen“ Kommunalen Finanzausgleich gewährt, gäbe es die Schuldentürme in den Gemeinden nicht. Ein weiter Grund, die Schulden der Gemeinden dem Verursacher Land zuzuordnen.
Die Schuldenübernahme ist rechtmäßig
Vielfach wird argumentiert, Art. 109 GG verbiete dem Land die Aufnahme neuer Schulden und mit der Altschuldenlösung würden neue Schulden gemacht. Diese Aussage ist falsch! Würde Rheinland-Pfalz Kredite aufnehmen, um den Gemeinden Geld zur Schuldentilgung zu geben, läge darin ein Verstoß gegen die Schuldenbremse aus Art. 109 Abs.3 GG. Wir gehen in Rheinland-Pfalz allerdings den Weg der Schuldübernahme. D.h. das Land steigt in die tausende von Kreditverträgen der Kommunen ein und übernimmt 50 Prozent der Schuld. Es werden keine neuen Schulden gemacht, sondern alte übertragen. Da die Altschulden der Gemeinden Schulden des Landes sind, liegt darin kein Verstoß gegen die grundgesetzliche Schuldenbremse, da unter dem Strich in Rheinland-Pfalz nicht mehr Schulden stehen, sondern der Saldo ist derselbe.
Die Altschuldenlösung ist ein Ausdruck der Generationengerechtigkeit
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Klima-Beschluss (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021) im letzten Jahr ein subjektives Recht der jüngeren Generation festgestellt, das – über die Lasten des Klimawandels hinaus – zu der sogenannten Intergenerationengerechtigkeit führt als Ausdruck der intertemporalen Freiheitssicherung. Die Entscheidung lässt einklagbare subjektiv-öffentliche Rechte auf Grundrechtsniveau entstehen, die auch die Bereiche der sozialen Sicherungssysteme oder der Staatsverschuldung umfassen. Diese Intergenerationengerechtigkeit muss auch für Menschen gelten, die in Kommunen leben, die selbst nicht die Leistungsfähigkeit besitzen, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse aus eigener Kraft für ihre Einwohner zu gewährleisten. Umgekehrt ist die Intergenerationengerechtigkeit nicht höher belastet, wenn das Land Schulden übernimmt, die ohnehin seine Schulden sind. Wichtig ist, dass sie auch einer Tilgung unterworfen sind und sie nicht auf die jüngere Generation oder auf kommende Generationen als Last, als Erbschuld übertragen werden. Hier leistet das Land einen Sicherungsbeitrag und einen Entlastungsbeitrag für die künftigen Generationen, die in solchen Gemeinden leben. Ansonsten müssten die Gemeinden immer höhere Grund- und Gewerbesteuern festsetzen und damit wären junge Menschen gezwungen, die Erblasten mit höheren Steuern real zu begleichen oder sie zögen in eine Gemeinde, die geringere Schulden und Lasten hat. Damit würde die Schuld pro Kopf in jenen Gemeinden immer größer. Dem stellt sich die Altschuldenlösung entgegen und sichert damit die Zukunft vor Ort. Sie ist gesetzlicher Ausdruck der Generationengerechtigkeit.
Historisches Unterfangen. Wo bleibt der Bund?
Nach dem untauglichen Versuch, mit dem Kommunalen Entschuldungsfonds die Schulden der Kommunen in Rheinland-Pfalz einzudämmen und zu verringern, stehen wir jetzt vor einem historischen Schritt. Ein historischer Schritt für die verschuldeten Gemeinden und die Menschen, die in diesen Gemeinden leben, aber auch ein historischer Schritt für das Land. Dieser historische Schritt ist ein redliches und rechtmäßiges Unterfangen, altes Unrecht auch im Sinne der Gerechtigkeit für künftige Generationen im Einklang mit dem Grundgesetz, der Landesverfassung und den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts sowie des Verfassungsgerichtshofes zu einem guten Ende zu bringen. Die Ampel im Bund ist aufgefordert, auch den Wechsel einzulösen, den sie im Koalitionsvertrag gezeichnet hat: „Wir brauchen leistungsstarke und handlungsfähige Kommunen. Es gibt viele Kommunen mit hohen Altschulden, die sich nicht mehr aus eigener Kraft aus dieser Situation befreien können. Ihnen fehlt die Finanzkraft für dringend notwendige Investitionen. Wir wollen daher diese Kommunen von Altschulden entlasten“ heißt es im Kapitel VIII „Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Finanzen“. Bis heute blicken die Gemeinden sorgenvoll zurück. Mit zwei Schritten nach vorne von Bund und Ländern, wäre dieser Blick gebannt. Wir werden unabhängig davon den Kommunalen Finanzausgleich in diesem Jahr zu regeln haben. Dieser ist mit 300 Millionen Euro jährlich unterfinanziert. Es bleibt also noch Raum für weitere (historische) Schritte.