In den Tagen nach der gewaltigen Naturkatastrohe im Ahrtal standen die Menschen, standen wir alle, unter Schock und waren in Trauer angesichts der Bilder der Zerstörung, der Berichte des Leids und der vielen Verletzten und der Toten. Der Blick war in diesen Tagen darauf gerichtet, dem Chaos Herr zu werden, Verletzte zu versorgen, Trümmer zu beseitigen und Tote zu bergen.
Als ein paar Tage später der Innenausschuss zusammen kam, war bei allen demokratischen Fraktionen Konsens, dass jetzt nicht der Zeitpunkt wäre, wo die Frage der Schuld zu klären ist. Auch wir FREIE WÄHLER hielten die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses so kurz nach der Flutkatastrophe für den völlig falschen Zeitpunkt und deplatziert.
Neben der schnellen Hilfe und dem Wiederaufbau galt es, die Weichen zu stellen, um für die Zukunft die richtigen Erkenntnisse aus dem Ablauf der Naturkatastrophe ziehen zu können. Das Ausmaß der Zerstörung hat gezeigt: Unser Katastrophenschutz war auf derartige Naturkatastrophen nicht vorbereitet. Es müssen daher schnell bestehende Katastrophenschutzpläne überprüft und etwaig fehlende Strukturen aufgebaut und angepasst werden, damit sich so eine Tragödie wie im Ahrtal nicht wiederholt. Die Einrichtung der Enquete-Kommission war deshalb der zuvorderst vorzunehmende Schritt.
Die Enquete-Kommission erarbeitet einen Abschlussbericht mit Analyse der Flutkatastrophe und einer Handlungsstrategie für die Zukunft. Es ist richtig und wichtig, dass diese Enquete-Kommission schnellstmöglich ihre Arbeit aufnimmt.
Nun, zwei Monate nach der Flutkatastrophe, mag der Zeitpunkt gekommen sein, auch der Frage nachzugehen, ob Fehler gemacht wurden – und wer dafür die rechtliche und politische Verantwortung trägt. Angesichts von 133 Toten im Ahrtal ist der Wunsch der Bevölkerung nach Aufklärung verständlich.
Wer den Artikel „Rekonstruktion eines politischen Versagens“ von Julian Staib und Timo Steppat in der Frankfurter Allgemeine über das Schicksal der Familie Villinger gelesen hat, kann nachvollziehen, warum Stefan Villinger genauso wie andere Hinterbliebene Aufklärung einfordern. Zu viele Fragen sind offen, zu viele Antworten schuldig:
- Wurde den Menschen am Abend der Flutnacht wirklich geraten in den Häusern zu bleiben, wie es der Familie Kay und Villinger geraten worden sei?
- Waren zu wenig Rettungshubschrauber im Einsatz?
- Warum wurde erst um 23:09 Uhr der Katastrophenfall ausgerufen, wenn doch zu diesem Zeitpunkt schon seit fast drei Stunden die Häuser unter Wasser standen und schon um 16:20 Uhr die Bürgermeisterin der VG Altenahr angesichts der prognostizierten Pegelstände um das Ausrufen des Katastrophenfalls gebeten hatte?
- Wurden Bundeswehrsoldaten nicht gerufen, obwohl diese am Nachmittag und in der Nacht des 14. Juli bereitgestanden hätten?
Wieso wurden die Warnungen des Europäischen Flutwarnsystems EFAS und des Deutschen Wetterdienstes nicht ernster genommen?
Wieso schlug die Umweltministerin Anne Spiegel nicht Alarm, wenn doch das ihr unterstehende Landesamt für Umwelt am 14. Juli ab 17:17 Uhr mit lila die höchste Warnstufe ausgerufen hatte, wonach für die Ahr-Region „Überflutungen bebauter Gebiete in größerem Umfang“ drohten?
Wieso wurde in der Nacht des 14. Juli nicht bereits der Krisenstab der Landesregierung aktiviert?
Wie konnte es sein, dass Landrat Pföhler die Leitung des Stabes im Katastrophenfall seit Jahren delegiert hatte, ohne dass das Innenministerium eingeschritten ist?
Wieso wurden die Bewohner von Sinzig nicht rechtzeitig evakuiert, wenn doch die Flutwelle Sinzig erst nach Mitternacht erreichte – also genügend Zeit zum Handeln gewesen wäre?
Und die zentrale Frage: Wären Verletzte und Tote vermeidbar gewesen?
Diese und viele Fragen mehr gilt es nun, in einem Untersuchungsausschuss zu klären. Der vorliegende Antrag der CDU-Fraktion auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses definiert im Gegensatz zum Antrag der AfD-Fraktion hinreichend die Untersuchungszeitspanne, die Untersuchungsgegenstände und die Untersuchungsmittel. Er ist substantiiert.
Die FREIE WÄHLER-Fraktion hat entschieden, mich als Mitglied in den einzurichtenden Untersuchungsausschuss zu entsenden. Mit 14-jähriger Berufserfahrung als selbständiger Rechtsanwalt ist mir das Aktenstudium, die Sichtung und Bewertung von Beweismitteln sowie die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen vertrautes Gebiet. Mir ist die Bürde dieses Amtes aber auch die Verantwortung gegenüber den Opfern und Hinterbliebenen bewusst. Jenseits der eigenen Betroffenheit ist jedoch die nüchterne und sachliche Erforschung des Sachverhalts das Ziel. Dabei sind nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln.
Bei dieser Tätigkeit wird der Untersuchungsausschuss sich sicherlich auch im Spannungsfeld mit den derzeit laufenden umfangreichen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren bewegen. Wie der Justizminister Herbert Mertin in der letzten Rechtsausschusssitzung auf meine Nachfrage erklärte, sind derzeit drei Staatsanwälte und 70 bis 90 LKA-Beamte mit den Ermittlungsverfahren betraut. Allein dieser erhebliche Personaleinsatz zeigt, wie umfangreich sich die Ermittlungen darstellen.
Mir ist es wichtig, Herr Justizminister, dass aus Ihrem Hause bei der Arbeit des Untersuchungsausschusses bitte rechtzeitig Hinweise an den Untersuchungsausschuss ergehen, sollte die Gefahr bestehen, dass das Untersuchungsverfahren das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren beeinträchtigen könnte. Denn nach § 1 des Untersuchungsausschussgesetzes hat der Untersuchungsausschuss des Landtags nur die Aufgabe, Sachverhalte, deren Aufklärung im öffentlichen Interesse liegen, zu untersuchen und dem Landtag darüber Bericht zu erstatten. Die Frage, ob Anhaltspunkte strafbaren Verhaltens vorliegen, muss die Staatsanwaltschaft klären und gegebenenfalls zur Anklage bringen. Über die Schuld bei vorwerfbarem, strafbarem Verhalten, entscheiden dann Gerichte, nicht der Landtag.
Gleichwohl muss neben der strafrechtlichen Aufarbeitung auch eine Untersuchung durch einen Untersuchungsausschuss erfolgen. Es muss festgestellt werden, ob Fehler gemacht wurden – und wer dafür die rechtliche und politische Verantwortung trägt. Angesichts von 133 Toten im Ahrtal ist der Wunsch der Bevölkerung nach dieser Aufklärung verständlich. Den Menschen vor Ort ist die Politik eine schnelle und gründliche Antwort schuldig. Die FREIE WÄHLER Fraktion stimmt daher dem Antrag der CDU-Fraktion auf Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zu.