Quelle: Landtag RLP
„Auswirkungen des Afghanistan-Debakels auf Rheinland-Pfalz und Konsequenzen ziehen“ – Überschrift oder Wahlkampf?
Als Mitglied des Landtages fühlt es sich für mich befremdlich an, ein bundespolitisches Thema, welches mit unserer Landesbezeichnung „Rheinland-Pfalz“ ergänzt wurde, in unserem Landtag zu thematisieren.
Als Veteran des Afghanistan-Einsatzes möchte ich Sie dennoch kurz zu einer Zeitreise einladen:
Es ist der 22.12.2001 gegen 13 Uhr als ich mit meiner Ehefrau und unserem zwei Jahre alten Sohn die letzten Weihnachtseinkäufe erledige. An der Kasse in einem Ladengeschäft läutet mein Diensttelefon. Zu dieser Zeit war ich Zugführeroffizier der LLSanKp 260 in Lebach. Ich nahm das Gespräch an: „Alarm! – Keine Übung! – Begeben Sie sich sofort zu Ihrer Dienststelle!“
Ich brachte meine Familie nach Hause und begab mich ohne weitere Umwege zu meiner Dienststelle.
Wir wurden beauftragt, als damals erfahrenste Sanitätseinsatzkompanie der Bundeswehr, die Verlegung des Großteils unserer Kompanie ins Einsatzland AFGHANISTAN vorzubereiten. Feldlazarett, Krankenkraftwagenzug, Apotheke, Betreuungseinrichtungen und Unterkünfte waren Verlege bereit zu machen. Die gesamte Kompanie war zu alarmieren – wir waren im Einsatz!
Einzig an Heilig Abend durften unsere Soldaten zwischen 20 und 24 Uhr zu ihren Liebsten nach Hause. Wir waren 24/7 damit beschäftigt, Material zu sichten, zu verpacken, Ladelisten zu erstellen und Container zu beladen. Wir organisierten und versuchten in der Kürze der Zeit, wie in den Einsätzen in Somalia, Kambodscha und auf dem Balkan zuvor erprobt, unsere Soldaten und uns selbst auf das Einsatzland vorzubereiten. Luden Fachreferenten und Landeskundler ein, ergänzten fehlende Impfungen, beschafften zusätzliche Ausrüstung, um uns und unsere Soldaten bestmöglich auf das Bevorstehende einzustellen.
Keiner von uns wusste wirklich, was uns erwarten würde:
Fachreferenten und Landeskundler warnten uns vor einem Einsatz, ja einem Krieg, den man nicht gewinnen könne.
Weder die Briten noch die Sowjetunion waren zuvor mit Ihren Streitmächten in der Lage, Afghanistan zu befrieden. Warum sollte also ein Frieden erzwingender Einsatz der Vereinten Nationen dauerhaft von Erfolg gekrönt sein?
Unter diesen Voraussetzungen verlegten wir unsere Einheit mit ersten Teilen Mitte Januar nach Kabul, wo unter dem Schutz der Vereinten Nationen die Loya Dschirga im Juni 2002 vorbereitet und durchgeführt werden sollte.
Wir bauten im Camp Warehouse das erste Einsatzlazarett der Bundeswehr in Afghanistan auf, richteten eine Rettungsleitstelle ein und stellten die Sanitätsdienstliche Versorgung unserer Einsatzkräfte in Afghanistan sicher. Im Rahmen freier Kapazitäten unterstützte unsere Kompanie im März 2002 – als humanitäre Hilfe – im Erdbebengebiet nahe Nahrin am Fuße des Hindukusch.
Unsere Soldatinnen und Soldaten konnten während des Einsatzes im 1. Kontingent leider nicht allen verwundeten Kameraden das Leben retten. Am 6. März starben fünf Soldaten bei dem missglückten Versuch, eine russische Boden-Luft-Rakete zu entschärfen. Darunter zwei Deutsche und drei Dänische Kameraden…
Insgesamt starben 59 meiner Kameraden in einem Einsatz, der von Anfang an nicht zu gewinnen war!
Wie viele körperlich verwundet wurden, wissen wir. Die psychischen Verwundungen, die Dunkelziffer der an PTBS erkrankten, werden wir wohl nie erfahren.
In den fast 20 Jahren Einsatz, in dem wir auch -Zitat- „die Bundesrepublik Deutschland am Hindukusch verteidigten“. Konnten unzählige afghanische Mädchen die Schule besuchen, Tausende Vergewaltigungen verhindert werden und den Menschen die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft vorgelebt und vermittelt werden…
Was die antragstellende Fraktion mit diesem Antrag im Rheinland-Pfälzischen Landtag bewirken möchte, wird für mich genauso ein Rätsel bleiben wie die Sinnhaftigkeit dieses Einsatzes für all jene Familien, die Ihren Papa, Sohn, Enkel, Ehemann und Lebenspartner verloren haben.
An dieser Stelle verneige ich mich vor dem Mut meiner Kameraden!
Dankeschön.