52. Plenarsitzung – Ansprache des Fraktionsvorsitzenden Joachim Streit
Wer sich nach dem 7. Oktober 2023 fragte, „Auf welcher Seite stehe ich?“, hat als Deutscher nichts aus der eigenen Geschichte gelernt. Angesichts der Verbrechen an Juden durch die Nationalsozialisten, kann es keine Grauzone, kein Lavieren und kein Relativieren geben.
Für uns existieren keine zwei Meinungen: Wir stehen solidarisch an der Seite unserer Freunde in Israel und der Juden in Deutschland und verurteilen den terroristischen Angriff der Hamas auf unschuldige Menschen. Ohne Wenn und ohne Aber.
Doch was heißt „Nie wieder ist jetzt?“
Sind Juden aufgrund Ihres Glaubens Gewalt ausgesetzt?
Ja. Jetzt. In Deutschland.
Haben Juden Angst, sich durch das öffentliche Tragen von Glaubenssymbolen zum Judentum zu bekennen?
Ja. Jetzt. In Deutschland.
Raten jüdische Eltern ihren Kindern aus Furcht um deren Sicherheit, ihre Identität zu verleugnen?
Ja. Jetzt. In Deutschland.
Und müssen Juden mitansehen, wie der Mob durch die Innenstädte zieht und ihrer Heimat das Existenzrecht abspricht?
Ja. Jetzt. In Deutschland.
Der Judenhass hat Deutschland über das gesamte politische Spektrum nicht erst seit dem 7. Oktober eingeholt. Er brodelt schon lange unter zwei Aussagen, die in ihrer Intention unmissverständlich verschieden, aber in ihrer Konsequenz ähnlich fatal sind: Weder ist die NS-Zeit ein „Vogelschiss“ in unserer Geschichte noch „schaffen wir das“.
Natürlich haben wir durch Zuwanderung auch Antisemitismus importiert. Das ist aber kein Grund, auf andere zu zeigen. Wir werden an unserem Tun gemessen. Außenpolitische Solidaritätsbekundungen müssen dem innenpolitischen Praxistest standhalten.
Mit Ablehnung schaue ich auf den Islamistenaufmarsch in Essen vergangenen Freitag. Ähnliches beobachten wir seit Wochen in etlichen deutschen Großstädten.
Das ist inakzeptabel, zeugt von moralischer Verwahrlosung auf Seiten vieler Demonstranten und unterstreicht den Eindruck, dass solche Dinge in der Bundesrepublik unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit und der Wahrung einer falsch verstandenen Rangordnung von Grundrechten ausgehalten werden müssen.
Der Versuch, einer extremistischen Minderheit Toleranz vorzuleben, war untauglich und ist gescheitert. Das heißt aber nicht, dass wir in unseren Maßnahmen nachlassen dürften. Im Gegenteil!
Die historische Schuld besteht darin, dass wir Deutschen die Menschenrechte aufgaben und den Massenmord zuließen. Damit ist das „Nie wieder“ jetzt und in aller Zeit unsere Staatsräson, Verpflichtung gegenüber den Menschen in Israel, den Juden in Deutschland und gegenüber uns selbst als Bürger dieses Landes.
Das erwarten alle Menschen, die gerecht denken. Und zwar zu Recht.
Damit „Nie wieder“ auch morgen noch Bestand hat!