Untersuchungsausschuss: Stellungnahme von Stephan Wefelscheid zur Pressemitteilung des Innenministeriums zur erneuten verspäteten Aktenlieferung

„Die wiederholte verfristete Vorlage brisanter E-Mails ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, handelt es sich bei der Vorlage von Akten um keine Holschuld des Untersuchungsausschusses, sondern um eine verfassungsmäßig gebotene Bringschuld der Landesregierung. Denn nach Artikel 91 Absatz 3 Satz 3 der Verfassung von Rheinland-Pfalz in Verbindung mit § 14 Absatz 1 Untersuchungsausschussgesetz Rheinlad-Pfalz sind die Landesregierung und die Behörden des Landes sowie die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterstehen, verpflichtet, die von dem Untersuchungsausschuss angeforderten Akten vorzulegen und die erforderlichen Aussagegenehmigungen zu erteilen. Es handelt sich um einen klaren parlamentarischen Anspruch mit verfassungsrechtlicher Verankerung!

Welche Bedeutung diesem Anspruch zu Teil wird, hatte zuletzt der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen zu bewerten (Urteil vom 20. April 2021, AZ: VerfGH 177/20 zitieren, dort Seiten 67 ff.). Ich zitiere:

„Das parlamentarische Regierungssystem wird durch die Kontrollfunktion des Parlaments geprägt. Sie ist Ausfluss der aus dem Demokratieprinzip folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament. Zugleich verwirklicht die parlamentarische Kontrolle von Regierung und Verwaltung den Grundsatz der Gewaltenteilung, der für die Verfassung ein tragendes Funktions- und Organisationsprinzip darstellt.

Der Gewaltenteilungsgrundsatz zielt dabei nicht auf eine absolute Trennung der Funktionen der Staatsgewalt, sondern auf die politische Machtverteilung, das Ineinandergreifen der drei Gewalten und die daraus resultierende gegenseitige Kontrolle und Begrenzung mit der Folge der Mäßigung der Staatsgewalt. Er gebietet gerade im Hinblick auf die starke Stellung der Regierung, zumal wegen mangelnder Eingriffsmöglichkeiten des Parlaments in den der Exekutive zukommenden Bereich unmittelbarer Handlungsinitiative und Gesetzesanwendung, eine Auslegung der Verfassung dahin, dass parlamentarische Kontrolle auch tatsächlich wirksam werden kann. Ohne Beteiligung am Wissen der Regierung kann das Parlament sein Kontrollrecht gegenüber der Regierung nicht ausüben. Daher kommt dem parlamentarischen Informationsinteresse besonders hohes Gewicht zu, soweit es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb von Regierung und Verwaltung geht. Das Untersuchungsrecht gehört zu den ältesten und wichtigsten Rechten des Parlaments. Dem Untersuchungsrecht im Allgemeinen und den damit in Verbindung stehenden Minderheitenrechten im Besonderen kommt in der parlamentarischen Demokratie ein besonderer Rang zu….Das Untersuchungsrecht verschafft die Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung, die das Parlament zur Vorbereitung seiner Entscheidungen und vor allem zur Wahrung seiner Kontrollfunktion gegenüber der ihm verantwortlichen Regierung benötigt…Das Verfassungsrechtsverhältnis zwischen der Landesregierung und dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss wird durch das Gebot der Verfassungsorgantreue geprägt. Dieser Grundsatz verpflichtet alle Verfassungsorgane zu wechselseitiger Achtung, Rücksichtnahme und Kooperation bei der Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben. Sie sind verpflichtet, bei Inanspruchnahme ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen auf die Interessen der anderen Verfassungsorgane Rücksicht zu nehmen. Der Grundsatz der Verfassungsorgantreue verpflichtet die Regierung nicht nur im Verhältnis zum Parlament insgesamt, sondern auch im Verhältnis zu parlamentarischen Untersuchungsausschüssen… Das Recht auf Aktenvorlage gehört zum Kern des Untersuchungsrechts. Der Anspruch auf Vorlage von Akten im Verantwortungsbereich der Regierung folgt nicht lediglich aus dem Recht auf Amtshilfe; er ist Bestandteil des Kontrollrechts und des Rechts der Beweiserhebung. Akten sind bei der Untersuchung politischer Vorgänge ein besonders wichtiges Beweismittel. Sie haben gegenüber Zeugenaussagen nicht selten einen höheren Beweiswert, weil das Gedächtnis von Zeugen aus mancherlei Gründen unergiebig werden kann. Der Untersuchungsausschuss muss sich nicht mit Aktenauskünften zufrieden geben oder sein Verlangen auf bestimmte Aktenteile beschränken. Vielmehr soll er sich anhand der vollständigen Akten selbst ein Bild vom Umfang ihrer Entscheidungserheblichkeit machen können. Der Vorlageanspruch bezieht sich grundsätzlich auf alle Akten, die mit dem Untersuchungsgegenstand in Zusammenhang stehen. Bei einem Ersuchen auf Aktenvorlage muss nicht bereits feststehen, dass die Unterlagen auch tatsächlich entscheidungserhebliches Material oder entsprechende Beweismittel enthalten. Es reicht aus, wenn sie Hinweise hierauf geben könnten… Der Anspruch auf Vorlage von Akten im Verantwortungsbereich der Regierung ist danach Garant einer effektiven Beweiserhebung durch den parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die Erfüllung des parlamentarisch beschlossenen Untersuchungsauftrags wird häufig auch deshalb von der Kenntnis des Inhalts der in einem Ministerium oder dessen Geschäftsbereich geführten Akten abhängen, weil erst die Kenntnis der Akten eine sinnvolle Zeugenvernehmung durch den Untersuchungsausschuss ermöglicht. Die in Anspruch genommenen zuständigen Minister sind daher verpflichtet, die Akten ihres Geschäftsbereichs umfassend zu lokalisieren, zu sichten und unverzüglich vorzulegen.“

Soweit der Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen in einem aktuellen Urteil, das die verfassungsrechtliche Bedeutung der fristgerechten und vollständigen Aktenlieferung hervorhebt.

Demnach geht es bei der nicht fristgerechten Nachlieferung der E-Mails des Innenministeriums (MdI)/Lagezentrums um weit mehr, als nur die Frage, ob Kenntnis in der Flutnacht vorlag. Es geht mittlerweile abstrakt um die Frage, wie die Landesregierung mit der parlamentarischen Kontrolle der Regierung verfährt. Eines ist doch mal klar: Wären die nunmehr nachgelieferten E-Mails fristgerecht dem Untersuchungsausschuss übermittelt worden, wäre der Untersuchungsausschuss ganz anders verlaufen. Erschwerend kommt hinzu, dass es ja nicht der Landesregierung zu verdanken ist, dass diese Nachlieferung nun an den Untersuchungsausschuss erfolgt ist, sondern lediglich dem Umstand, dass aufgrund des plötzlichen Auftauchens der Hubschraubervideos der Untersuchungsausschuss hier im Landtag der Landesregierung aufgegeben hatte, nochmal die Aktenbestände zu überprüfen. Dass jetzt scheibchenweise neue Unterlagen auftauchen, ist ein Skandal. So geht man nicht mit dem Untersuchungsausschuss um!“

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