Joachim Streit zur Enquete-Kommission
MAINZ. Verantwortung hört nicht am Schreibtisch auf – auch dann nicht, wenn keine Vorschrift dazu verpflichtet! Wieso haben die Landesbehörden keinen Kontakt mit dem Landkreis Ahrweiler aufgenommen, nachdem die nachmittäglichen Warnungen am Tag der Flutkatastrophe (14. Juli 2021) offensichtlich ungehört verpufften? Doch nicht nur in punkto Warnungen mangelte es im Vorfeld an Steuerungsstärke. „Es fehlen die Grundstrukturen, für das Handeln vor, im und nach einem Katastrophenfall“, zieht Joachim Streit, Vorsitzender der FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion und Obmann in der Enquete-Kommission „Zukunftsstrategien zur Katastrophenvorsorge“ ein deutliches Fazit. „Das Land ist seiner Steuerungspflicht nicht nachgekommen. Wir brauchen eine zentrale Steuerung für Großschadenslagen!“
Joachim Streit prangert hier unter anderem auch die fehlende Stärkung der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) nach Großschadenslagen an. „Ungeregelte Übergänge führten zu erheblichen Zeitverlusten. Die PSNV war zum Zeitpunkt der Beauftragung durch die ADD an den Leiter der Beratungs- und Koordinierungsstelle am 18. Juli drei Tage hinter der Lage! Bis dahin leisteten die örtlichen Kräfte hervorragende Arbeit, waren aber auf sich allein gestellt. Es sind aber zwangsläufig Parallelstrukturen entstanden die u.a. dazu führten, dass Menschen nicht versorgt wurden, weil Hilfeersuchen nicht ankamen, keine verbindlichen Kommunikationsstrukturen entstanden, keine Dokumentation erfolgte usw.“
Die starke Stellung der Kommunen in der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr ermöglicht auch in der PSNV Insellösungen in vielfältiger Weise, oft auch auf Einzelpersonen zugeschnitten. Die Strukturen unterscheiden sich zum Teil gravierend, es werden Begrifflichkeiten neu bestimmt, Qualitätsstandards werden nicht eingehalten. „Das mag im Alltagsgeschäft noch funktionieren, bei Großschadenslagen wird das allerdings schwierig“, urteile Joachim Streit und schildert dieses Problem „als für den Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz allgemein geltend. Oft beschreiben Kommunen ihre Systeme als die besten und meinen, wenn alle es so machen würden, würden alle es richtig machen. Diese Einstellung macht es für eine Landeseinrichtung sehr schwierig, für alle geltende Standards durchzusetzen“.
Joachim Streit legt nicht nur den Finger in die Wunde, er hat auch Vorschläge zur Behebung der Problematik: „Der Landesbeirat PSNV, der unter anderem die Alarm- und Einsatzplanung für die Fußball-WM 2006 erstellt hatte, muss wieder ins Leben gerufen werden! Diesem Landesbeirat gehören Vertreter aller in der PSNV tätigen Organisationen und Institutionen, des Innenministeriums, des Gesundheitsministeriums, des Justizministeriums, der Polizei, der Unfallkasse Rheinland-Pfalz, der Landespsychotherapeutenkammer, der Landesärztekammer und der Kommunalen Spitzenverbände an. Vorsitz und Geschäftsführung übernimmt die Beratungs- und Koordinierungsstelle PSNV.“ Aufgabe des Landesbeirates sollten die Erstellung von Konzepten zur PSNV in Großschadenslagen, die Mitwirkung bei der Fortschreibung des Rahmenalarm- und Einsatzplans Gesundheit, die Umsetzung von Qualitätsstandards in der Ausbildung und Bestellung von PSNV-Kräften (u.a. die Ausstellung einheitlicher Ausweise für PSNV-Kräfte), die Zertifizierung von Ausbildungseinrichtungen und PSNV-Systemen und die Vernetzung mit anderen in der PSNV relevanten Institutionen sein.
Und, auch, wenn es sich noch so simpel anhört: „Eine einheitliche Kennzeichnung der offiziellen Einsatzkräfte als erkennbare Abgrenzung vor „selbst ernannten“ psychosozialen Helfern ist ebenso notwendig wie eine 24-Stunden-Notfall-Telefonnummer und – wie von den FREIEN WÄHLERN unmittelbar nach der Flutkatastrophe gefordert – eine bundesweite einheitliche Alarmierung sowie Transportmöglichkeiten“, so Streit.