Landtagsfraktion fordert Antworten der Landesregierung zu Werbepraxis – insbesondere zu der Frage der Verletzung des Neutralitätsgebots gerade zu Wahlkampfzeiten
MAINZ (CA). Zunächst hatte das ZDF durch Recherche von Jan Böhmermann aufgedeckt, was nunmehr der SWR noch tiefergehend hinterfragt hat: Das rheinland-pfälzische Umweltministerium habe in rund 130 Fällen gezielte Werbung auf Facebook geschaltet, um Grüne Parteigänger anzusprechen. Vor allen Dingen im Vorfeld von Wahlterminen.
Mehrere Rechtsprofessoren bewerten die Arbeitsweise des Ministeriums unter Führung von Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) laut SWR als „illegale Praxis“. Aufgrund dieser klaren Aussagen stellt die FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion eine „Große Anfrage“ an die Landesregierung.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion, Stephan Wefelscheid, ist vom Umfang der Werbeaktivitäten des Umweltministeriums überrascht, die der SWR mit seinen Recherchen aufgedeckt hat.
„FREIE WÄHLER wollen in einer Großen Anfrage nun grundsätzlich Aufklärung darüber, wie die Landesregierung, insbesondere das Umweltministerium, die Öffentlichkeitsarbeit aufstellt, wo welche Gelder an wen fließen. Denn womöglich profitiert am Ende nicht nur Facebook.“ So stellen FREIE WÄHLER folgende Fragen an die Landesregierung:
- Um welche rund 130 Werbeanzeigen handelte es sich konkret (Bitte um Aufstellung)?
- Welche dieser Anzeigen wurden im Briefwahlzeitraum einer Wahl geschaltet?
- Welche Zielgruppen wurden konkret mit den Werbeanzeigen angesprochen/welche Zielgruppenmerkmale wurden sonst noch angewählt (Bitte um Aufstellung)?
- Wie und durch wen wurden die Zielgruppen für die Facebookwerbung ausgewählt?
- Wer hat die Zielgruppeneinstellungen vorgenommen?
- Wurden die Zielgruppeneinstellungen von der Ministerin abgezeichnet?
- Welche Abteilung(en) und Personen hatten von den Vorgängen Kenntnis und/oder waren involviert?
- Ist die vom SWR angenommene Summe von 9400 € für auf potentielle Grünen-Wähler ausgerichtete Facebook-Werbeausgaben korrekt, wenn nein, wie hoch war die Summe?
- Aus welcher Haushaltsposition des Ministeriums wurden die Werbemittel freigegeben?
- Wurden die beworbenen Facebook-Posts gezielt für die Zielgruppe „Interessiert an der Partei Bündnis90/Die Grünen“ verfasst und/oder angepasst?
- Gab es eine zeitliche Begrenzung um unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen?
- Sind Vorgaben für die Werbung zu unterschiedlichen Tageszeiten vorgenommen worden, um verschiedene Zielgruppen zu erreichen?
- Gab es noch weitere Detaillierungen im Zielgruppen-Targeting, wenn ja, welche?
- Hat man zusätzliche Verteiler erstellt über die Onboardtools von Facebook hinaus?
- Ist der Facebook-Pixel des Ministeriums bei den Werbeanzeigen verwendet worden?
- Fand diese Praxis bereits vor dem im SWR-Artikel genannten Zeitraum von drei Jahren statt?
- Hatte Umweltministerin Anne Spiegel und/oder ihr Mitarbeiterstab Kenntnis von den Methoden der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums?
- Ist erst nach Bekanntwerden der Praxis durch Jan Böhmermann Ende September 2021 die Werbestrategie hinterfragt worden?
- Ist angedacht, weiterhin auf die Praxis des Microtargetings zurückzugreifen, und wenn ja, aus welchen Gründen?
- Wurde auch auf anderen Social-Media-Plattformen zielgruppenorientiert geworben, wenn ja auf welchen?
- Wenn ja, wurden hier ebenfalls mittels Microtargeting potentielle Grünen-Wähler gezielt angesprochen?
- Wenn ja, in welchem Umfang und Zeitraum hat dies stattgefunden?
- Haben auch andere Ministerien/die Staatskanzlei Microtargeting bei Werbeanzeigen verwendet?
- Wenn ja, wurden hierbei ebenfalls gezielt bestimmte politische Interessen angesprochen?
- Wenn ja, in welchem Umfang und Zeitraum und auf welchen Plattformen ist dies geschehen?
- Aus welchen Gründen hat das Umweltministerium Stand 8.10.2021 keine offizielle Stellungnahme zu diesem Sachverhalt auf seinen Seiten (Facebook, Internetseite) veröffentlicht?
- Sieht die Landesregierung in der streitgegenständlichen Microtargeting-Praxis des Umweltministeriums einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot?
- Sieht die Landesregierung in der streitgegenständlichen Microtargeting-Praxis des Umweltministeriums einen Fall der illegalen Parteienfinanzierung?
- Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus diesen Vorgängen?
Der rechtspolitische Sprecher der FREIE WÄHLER-Landtagsfraktion, stellt aber auch klar: „Es geht uns nicht um Skandalisierung. Wäre es ein einziger Fall gewesen, der sodann abgestellt wird, hätte man das als unglücklichen Vorgang ansehen können. Bei im Raum stehenden 130 Fällen, bei denen die gezielte Werbung insbesondere vor Wahlen erfolgt sein soll, muss eine parlamentarische Aufarbeitung aber zwingend erfolgen. Schließlich geht es darum das Vertrauen in staatliche Organe zu stärken. Das Neutralitätsgebot der Ministerien ist ein sehr hohes Gut. Ein eklatanter Missbrauch staatlicher Mittel für parteipolitisch motivierte Öffentlichkeitsarbeit bei einem US-Konzern vor Wahlen wirkt dann um so schlimmer. Die Ministerin Spiegel muss sich erklären.“