54. Plenarsitzung – Joachim Streit zu “Rolle und Verantwortung von Ministerpräsidentin und Staatskanzlei bei der Einflussnahme auf die Berichterstattung unabhängiger Medien” – mit Video

Video: Landtag RLP

Anlässlich des Internationalen Tages der Pressefreiheit am 3. Mai 2022 hat Ministerpräsidentin Malu Dreyer einen Beitrag in den sozialen Medien erstellt, dem ich inhaltlich nur zustimmen kann.

Mit Erlaubnis … zitiere ich: „Wenn die Medienfreiheit bedroht ist, dann ist die Demokratie in Gefahr. Ich setze mich auf allen Ebenen dafür ein, dass Journalisten frei und ohne Angst berichten können, denn unabhängige Medien sind essenziell für die Demokratie. Für mich steht fest: Medienpolitik ist Demokratiepolitik!“

Das sind unbestritten wahre Worte!

Allerdings gilt dann im Umkehrschluss auch Folgendes: Wenn sich die einflussreichste Medienpolitikerin des Landes an Artikel 5 des Grundgesetzes vergreift, dann hat die rheinland-pfälzische Demokratie Schaden genommen.

Und daran hat auch unsere schweigende Ministerpräsidentin einen Anteil. Genau dieser Sachverhalt zwingt uns heute zu dieser Runde.

Ich erspare mir die detailgetreue Rekonstruktion von Briefgängen, Unterschriften und widersprüchlichen Behauptungen – ich möchte stattdessen die großen Linien des Versagens in der „Causa Raab“ zeichnen.

Der mit der Versendung des Briefes ausgeübte Machtmissbrauch von Multifunktionärin Raab ist ein Zeichen mangelnder, aber verfassungsrechtlich notwendiger Distanz zwischen den bekleideten Ämtern und dem Öffentlichen Rundfunk.

Wenn man im Verwaltungsrat und dem Finanzausschuss des SWR sowie im Landesprogrammausschuss und im Landesrundfunkrat sitzt und gleichzeitig Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa und Medien ist, dann ist nicht nur ein gewisses Feingefühl im Umgang mit der Presse ob der eigenen Wirkmacht angebracht, sondern die Staatsvertreter müssen die sogenannte Staatsferne verteidigen, die das Grundgesetz dem Staat zum ÖRR vorschreibt.

Staatsferne heißt, es gibt nur eine begrenzte Rechtsaufsicht – und sich inhaltlich einzumischen, ist ein absolutes Tabu!

Deshalb muss man, selbst wenn der Brief nicht die Signatur der Staatskanzlei getragen hätte, den Versuch eines Vertreters der Landesregierung, Druck auf den SWR auszuüben, um einem Parteifreund zu helfen, als verfassungswidrig bewerten.

Ganz einfach deswegen, weil man Staatsferne nicht erreicht, indem man die Privatperson Raab in dieser Angelegenheit von der Staatssekretärin Raab trennt.

Sich vor, während und nach diesem Fehltritt im Recht zu wähnen, ist ein Zeichen von Hybris. Es ist ein Zeichen von übergriffiger Vermessenheit.

Ein solcher Fehler darf einer Staatssekretärin für Medien nicht unterlaufen!

Frau Raab, ich bin nicht bereit, Ihnen vorzuwerfen, den Medienausschuss willentlich angelogen zu haben.

Aber sie müssen sich in diesem Zusammenhang eine Vorhaltung machen lassen, die nicht weniger schwer wiegt:

Die Notwendigkeit, Ihre Aussagen zur Versendung des Briefes im Nachgang korrigieren zu müssen, ist Zeugnis mangelnder Vorbereitung auf einen medien- und demokratiepolitischen Sachverhalt von elementarer Bedeutung für die Glaubwürdigkeit freier Berichterstattung in Rheinland-Pfalz.

Die Staatssekretärin hat den Sachverhalt zu diesem Zeitpunkt offenbar immer noch völlig falsch eingeschätzt – was im Übrigen auch ihr Auftritt in besagtem Ausschuss dokumentiert.

Unrechtbewusstsein? Fehlanzeige.

Dabei erwarte ich gerade von unserer obersten Medienpolitikerin ein sensibles Gespür dafür, wie Dinge bei den Bürgern ankommen. Denn was bleibt hängen? Im Übrigen völlig ungeachtet davon, ob Frau Raab nun zurücktritt oder nicht.

Ich sage es Ihnen: Ein gefundenes Fressen für all die Verschwörungstheoretiker, die die Unabhängigkeit der Medien ohnehin in Frage stellen. Diese Leute fühlen sich in ihren Narrativen bestätigt.

Aber auch dem Durchschnittsbürger ist es nach diesem Vorfall sicher nicht wohler.

Demnach muss sich die Staatssekretärin eine völlige Ignoranz gegenüber der Tragweite ihres Briefes, aber auch den Nachwehen ihres Handelns vorwerfen lassen.

Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um eine lässliche Sünde, sondern um eine Todsünde im Verfassungsrecht!

„Medienpolitik ist Demokratiepolitik!“, sagte die Ministerpräsidentin.

Und deswegen bedauere ich das Schweigen von Ministerpräsidentin Dreyer in dieser Angelegenheit. Frau Raab ist die Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz für Medien – und damit auch die Stellvertreterin der Ministerpräsidentin.

Vor diesem Hintergrund ist es umso bemerkenswerter, dass die Opposition Sie, Frau Dreyer, über dieses Sonderplenum an Ihre Worte und Ihre Pflicht erinnern muss.

Denn mangels klarer Aussagen Ihrerseits ist bis jetzt zwangsläufig der Eindruck entstanden, dass Sie sich die Meinung von Frau Raab zu eigen machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hätten wir die Landesregierung heute nicht zu einer Stellungnahme gezwungen, wäre die ureigene Taktik der Landesregierung womöglich erneut aufgegangen: wegducken, aussitzen, totschweigen! Und so würden wir vergeblich auf einen Kommentar zu Frau Raabs Briefkopfaffäre warten.

Am 29. November hat die Vorsitzende der Landespressekonferenz, Karin Dauscher, zu Recht festgestellt, dass das Krisenmanagement der Landesregierung im Umgang mit der Causa Raab völlig versagt hat.

Mit Erlaubnis zitiere ich aus dem entsprechenden Artikel in der Rheinpfalz:

„Zu einer guten Führungskultur gehört, Fehler eingestehen zu können. Heike Raab kann das nicht. Bisher noch nicht. Drei Wochen ist es her, dass ihr befremdlicher Beschwerdebrief an den SWR öffentlich wurde. Ihre Aufgabe als führende Medienpolitikerin Deutschlands, ihr Briefkopf aus der Staatskanzlei und ihre Präsenz in den SWR-Gremien, die auch die SWR-Landessenderdirektorin Ulla Fiebig wählen und kontrollieren, steht für Raabs Macht. Das alles steht aber nicht für die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Raab schadet dem System und sie schadet der Regierung von Malu Dreyer.“

Es ist aber nicht nur das medial-politische System, das Schaden genommen hat, sondern das Vertrauen der Menschen in die politische Kultur im Allgemeinen.

Wenn eine Staatssekretärin, die nach eigenen Angaben seit mehr als 20 Jahren in diesem Spiel aktiv ist, eine Drohgebärde als solche nicht erkennt oder im Nachgang versucht zu verharmlosen, dann spricht das für eine unterkomplexe Selbstreflexion.

Wenn jedoch eine Ministerpräsidentin diesem bedauerlichen Schauspiel stillschweigend zusieht, dann haben wir ein strukturelles Problem, das das Fundament unseres gesellschaftlichen Konsenses erschüttert.

Frau Raab hat für jedermann erkennbar ihre Macht missbraucht.

Doch die Landesregierung war nicht in der Lage, diesen Fehler klar zu benennen.

Frau Raab hat sich mit ihrem Auftritt im Medienausschuss der Unverbesserlichkeit schuldig gemacht.

Aber auch dieser Exkurs ins Reich der Reuelosen blieb unkommentiert.

Frau Raab hat sich bei der Faktenlage verzettelt, so ernstlich, dass eine Korrektur des Protokolls in Auftrag gegeben werden musste.

Jedoch war auch das wiederum kein Anlass für die Landesregierung, die Dinge ins rechte Licht zu rücken.

Und wir wurden Zeugen des letzten Versuchs der Staatssekretärin Raab:

Einer Entschuldigung im Deckmantel der eigenen Rechtschaffenheit – mit Verweis auf das Versäumnis, solch eine Drohung „postalisch“ und „nicht persönlich“ ausgesprochen zu haben.

Das alles, meine Damen und Herren, ist die Darbietung politischer Verantwortungslosigkeit, die stilbildend für diese Landesregierung ist.

Wir werden jetzt in der Fraktion beraten, was der nächste Schritt ist.

Der heutige Tag war jedenfalls nicht der letzte!

Es gilt das gesprochene Wort.

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