Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
es geschah vor 60 Jahren: In der Nacht zum 13. August 1961 rissen Grenzpolizisten der DDR in Berliner Straßen das Pflaster auf, errichteten Barrikaden aus den Steinen und zogen Stacheldraht – quer durch und rund um die Stadt. Der westliche Teil Berlins wurde von heute auf morgen durch diesen – laut Propaganda – „antifaschistischen Schutzwall“ von der DDR und von Ostberlin abgetrennt. Die legendäre „Berliner Mauer” und die Grenzbefestigungen zur Bundesrepublik hinderten die Einwohner der DDR bis 1989 daran, das Land zu verlassen.
Als Zwölfjähriger habe ich den Mauerbau miterlebt. Mit Entsetzen haben wir die schlimmen Ereignisse wahrgenommen, von denen damals die Medien berichteten. Auch nach dem Mauerbau riss der Kontakt nicht völlig ab: es wurden Weihnachtspakete an Bekannte und Freunde, aber auch an Personen in der DDR geschickt, deren Adresse man irgendwie erfahren hatte, um ihnen eine Freude zu bereiten mit Bohnenkaffee, Schokolade und anderen Waren, die für uns normal, dort aber unerreichbarer Luxus waren. Schulfahrten nach Berlin – stets mit Besuchen in Ostberlin und an der Mauer– hat fast jeder Schüler einmal mitgemacht. Die teils erniedrigenden und gespenstigen Eindrücke, die ich als Schüler und als Lehrer dabei und auch auf der Hin- und Rückreise durch das Gebiet der DDR gesammelt habe, werde ich wohl nie vergessen…
Bei verzweifelten Fluchtversuchen nach dem Mauerbau wurden mindestens 136 Menschen erschossen oder starben durch Selbstschussanlagen, und 174 Menschen sind seitdem in Grenzflüssen oder in der Ostsee ertrunken. Allein von 1976 bis 1988 registrierte die Stasi mehr als 38.000 gescheiterte Fluchtversuche, die in der Regel mit Gefängnis bestraft wurden.
Auch hier ein persönlicher Beitrag: Ich sitze oft mit einem ehemaligen Soldaten der DDR zusammen, der nach dem Mauerbau in Uniform und mit Gewehr in den Westen geflohen ist. Er verdankt sein Leben der Tatsache, dass seine früheren Kameraden gezögert haben, auf ihn zu schießen.
Zu den Opfern der SED-geführten Regierung zählen nicht nur die inzwischen anerkannten politischen Gegner des Regimes, sondern auch viele Menschen, die jahrzehntelang darunter gelitten haben, in einem System ohne Meinungsfreiheit zu leben – von Reisefreiheit ganz zu schweigen. Hinzu kommen unzählige Familien, die durch die einseitige Schließung der Grenze getrennt und zerrissen wurden.
Der Fall der Mauer – also die Öffnung der DDR-Grenze – am 9. November 1989 war ein Glücksfall der deutschen Geschichte. Irgendwie absehbar, aber dennoch unfassbar. Auch diese Bilder, diese Freude werde ich nie vergessen. Und der Mauerfall hat die historische Perspektive verändert: Ich halte es für richtig, dass der Tag der deutschen Einheit vom 17. Juni, Erinnerung an den DDR-Volksaufstand im Jahre 1953, auf den 3. Oktober verlegt wurde, den Tag der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990. Dadurch treten allerdings die Ereignisse, die vor dem Mauerfall lagen, in den Hintergrund.
Umso wichtiger ist es, dass der 60. Jahrestag des Mauerbaus dazu beiträgt, dass dieses Kapitel der deutschen Geschichte nie vergessen wird. Und er sollte uns dazu motivieren, alles dafür zu tun, dass in unserem Land nie mehr ein totalitäres Unrechts-Regime installiert werden kann. Deshalb muss diesem Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte im Schulunterricht besondere Bedeutung eingeräumt werden. Politische Bildung und gründliche Beschäftigung mit der eigenen Geschichte können dazu beitragen, dass sich solche Ereignisse nicht wiederholen. Beeindruckende Erfahrungsberichte von Zeitzeugen sollten unbedingt in den Unterricht eingebaut werden.
In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der AfD hat Frau Staatssekretärin Steingaß ausführlich dargestellt, dass die Beschäftigung mit der Herrschaft von Unrechtsregimen und deren Folgen, insbesondere mit der DDR, in den Lehrplänen verankert ist und durch ausreichende Fördermöglichkeiten von ergänzenden Aktivitäten wie Schulfahrten unterstützt wird. Angebote wie die „Mean it“-Workshops tragen gezielt zur angemessenen Behandlung der SED-Herrschaft an Schulen bei.
Für die Rehabilitierung und finanzielle Entschädigung von Opfern des SED-Regimes ist Rheinland-Pfalz nicht zuständig, denn um diese Aufgabe kümmern sich bereits – aus Gründen der Nähe – die neuen Bundesländer.
Die Landesregierung bestätigt zudem, dass sie ehrenamtliches Engagement zum Gedenken an SED-Opfer ebenso anerkennt wie vergleichbare Initiativen.
Im Zusammenhang mit der Überführung der Stasi-Akten ins Koblenzer Bundesarchiv gehen wir davon aus, dass im dafür zuständigen Kanzleramt genug Fachverstand und Problembewusstsein vorhanden sind, um die sinnvolle Nutzung dieser Akten und ihrer Inhalte zu veranlassen und zu fördern.
Vor diesem Hintergrund hält die Fraktion der FREIEN WÄHLER keine zusätzlichen Aktivitäten des Landes zur Beschäftigung mit der Zeit des DDR-Regimes oder zur noch besseren Würdigung von SED-Opfern für erforderlich.
Ich fasse zusammen: Die Folgen der vor 60 Jahren errichteten Mauer, der die Wiedervereinigung folgte, waren so dramatisch, dass sie im Schulunterricht gründlich zu behandeln sind, möglichst unter Einbeziehung von Zeitzeugen. Die Erinnerung darf nicht verloren gehen, aber genauso wichtig ist die Versöhnung mit der Vergangenheit. Wir müssen die Jugend anleiten, aus der Geschichte zu lernen.