Joachim Streit zu: Hochwasser- und Flutkatastrophe

6. Plenarsitzung – 31. August 2021

Es gibt Tage, an denen weint ein Mensch. Es gibt Tage, an denen weint ein ganzes Land. Es gibt Tage, an denen weint ein ganzes Land. Unsere Gedanken sind bei den Opfern, Angehörigen und ihren Freunden.

Ich möchte mit Ihnen heute Nachmittag vier Zeitpunkte in den Blick nehmen:

  1. die Tage vor der Katastrophe
  2. den 14. Juli
  3. die Tage nach der Katastrophe bis zum heutigen Tag
  4. die Zukunft

Die Tage vor der Katastrophe

Nach der Donauflut 2002 wurde das European Flood Awereness System (Efas), das Europäische Flut Frühwarnsystem eingeführt. Es ist damit Teil des Copernicus-Diensts für Katastrophen- und Krisenmanagement (Copernicus Emergency Management Service – EMS), der alle am Management von Naturkatastrophen und anderen Notsituationen beteiligten Akteure mit genauen Geoinformationen versorgt.

Der General-Anzeiger berichtete (am 14.8.21, Viktor Marinov):

Im Eifelkreis haben wir an diesem Montag den Hochwassermeldedienst eröffnet: Das heißt die Verbandsgemeinden, der Katastrophenschutz, aber auch der Landrat bekommen regelmäßige Meldungen zum erwarteten Hochwasser. Die Campingplatzbetreiber an den Flussläufen wurden informiert. Die Technische Einsatzleitung verabredete sich, dass ab Mittwochmorgen, 14. Juli, 10 Uhr das Katastrophenschutzzentrum zu besetzen sei, um die Systeme für den erwarteten Haupttag hochzufahren und Einsatzbereitschaft zu melden. Am 13. Juli gibt der Hochwassermeldedienst des Landes für das Ahrgebiet die Warnstufe 2 (gelb) aus.

14. Juli 2021

Um 11.17 Uhr: Der Hochwassermeldedienst überspringt von Warnstufe Gelb die Stufe Orange und löst aufgrund steigendender Pegel die zweithöchste Stufe (rot) aus.

Das Landesumweltamt schickt alle drei Stunden automatisierte E-Mails an die Kreisverwaltungen über die aktuelle und prognostizierte Hochwasserlage raus.

Sechs Stunden später (17:17 Uhr) wird von der Hochwasservorhersagezentrale beim Landesumweltamt die höchste Warnstufe ausgerufen: Lila – nachdem die Kurvendiagramme bereits am frühen Nachmittag einen scharfen Knick nach oben machten.

Da stand der Pegel Altenahr bei 2,78 m. Der Höchststand beim Hochwasser von 2016 war bei 3,70 m. Daraufhin (17:40 Uhr) übernimmt die Technische Einsatzleitung (TEL) im Landkreis Ahrweiler die überörtliche Einsatzleitung, ruft Stufe 4 aus.

Das Landesumweltamt prognostizierte einen Pegelstand von 5 Meter und korrigierte um 19.09 Uhr auf 4 Meter. Aber immer hoch höher als 2016. Dennoch gab es ein Aufatmen, auch bei Innenminister Lewentz, der dann auch den Krisenstab verließ.  

Um 20.36 Uhr: Der Pegel Altenahr sank aber nicht, sondern schwoll auf fast 6 Meter an (5,75 m) mit der Prognose 6,90 m. Wie hoch der Wasserstand wirklich stieg, wusste man nicht, nach etwa zwei Stunden fiel gegen 22 Uhr auf, dass der Pegel sich nicht bewegte. Er war abgerissen.

Stufe 5 löst der Krisenstab gegen 23 Uhr (23.09 Uhr) aus mit der Maßgabe, Bad Neuenahr-Ahrweiler, Bad Bodendorf und Sinzig in einem Raum von 50 m rechts und links der Ahr zu evakuieren. Die Bürgermeisterin der VG Altenahr sagt, sie habe die Kreisverwaltung bereits am Nachmittag aufgefordert, den Katastrophenfall auszurufen.

Prof. Annegret Thieken von der Universität Potsdam wird zitiert: „Eigentlich hätten wir sieben Stunden Zeit gehabt.“ (General-Anzeiger v. 14.8.), und spricht von einer schallenden Ohrfeige für das Krisenmanagement.

Ich persönlich sehe als langjähriger Verantwortlicher im Katastrophenschutz das größte Manko bei der Hochwasserwarnung im Auseinanderfallen der Verantwortlichkeit von Umweltministerium mit dem Landesamt für Umwelt und seinem Hochwassermeldedienst und dem für den Katastrophenschutz zuständigen Innenministerium.

Ich frage: Hätte das Umweltministerium viel mehr im Vorfeld – auch über die Medien – warnen müssen?

Die Tage nach der Katastrophe bis zum heutigen Tag

Nach dem Schrecken der Flut, begann eine besondere Welle der Hilfsbereitschaft in allen Flutgebieten: An der Ahr, den vier Landkreisen in der Eifel und der Stadt Trier.

Wir können gar nicht genug Dank sagen, den vielen Menschen, die sich auf den Weg machten, anderen zu helfen, die in Not sind: Frauen, Männer, Feuerwehr und THW, DRK und die ganze Blaulichtfamilie im engen wie im weiten Sinn.

Landwirte, Winzer, Handwerker, die in großen Kolonnen kamen oder als Einzelkämpfer. Helfer, die kein Geld wollen, Helfer, die Lohnunternehmer sind und ihr Geld bekommen müssen.

Aufgrund der Betroffenheit von mehr als 40.000 Menschen im Ahrtal übernahm das Land durch die ADD den Krisenstab. Vieles ist gelungen, die Ministerpräsidentin berichtete.

Die Beschwerden über die Organisation und die Arbeit des Krisenstabes sind Legion.

  1. Kritik: keine Kenntnis der Örtlichkeit
  2. Kritik: schlechte Kommunikation mit den Ortsbürgermeistern und Helfern vor Ort
  3. Kritik: schleichende Bezahlung der Lohnunternehmer
  4. Kritik: eine wieder einsetzende Bürokratie

Die schlimmste Kritik ist, dass vorhandene Einsatzkräfte nicht ins Tal geschickt wurden, obwohl man sie dringend gebraucht hätte.

Nachdem die Verbandsgemeindeverwaltung Altenahr komplett getroffen war und auch viele Mitarbeiter der Kreisverwaltung, hätte es eines Aufrufs nach Verwaltungshilfe im ganzen Land bedurft. Jedem (Orts-)Bürgermeister hätten wenigstens zwei Verbindungsleute (ein Techniker und ein Verwaltungsmitarbeiter) zur Seite gestellt werden müssen, um Erfassung, Meldung, Kommunikation und Auftragserteilung möglichst in Abstimmung mit dem Krisenstab zu ermöglichen.

Die Zukunft

Die beschriebenen Mängel in der Arbeit und Kommunikation des Krisenstabes sind abzustellen und wirklich den Opfern unbürokratisch zu helfen.

Hier gilt auch der Grundsatz: Not kennt kein Gebot. Wir brauchen schnelle und praktikable Lösungen. In der Interessenabwägung gehen sie anderen Schutzbelangen vor.

Es muss alles getan werden, dass die Menschen, Winzer und Betriebe sicher warm durch den Winter in ihren Häusern kommen und ihre Heimat behalten!

Als ehemaliger Bürgermeister schaue ich auf die Haushalte der betroffenen Gemeinden. Diese werden durch Einnahmeausfälle der Einkommensteuer, der Grundsteuer und der Gewerbesteuer gekennzeichnet sein. Hier benötigen die Kommunen eine besondere Liquiditäts- und Haushaltsausstattung.

Um den Wiederaufbau zu ermöglichen, ist eine Gesellschaft zu gründen, in der – jenseits des TVöD – Fachleute beschäftigt werden, um den Wiederaufbau zu steuern. Das Land hat sich hieran auch finanziell zu beteiligen.

Es ist vor Ort in einer Zukunftskonferenz zu klären, was wird wo, wie, von wem aufgebaut.

Und durch uns, das Parlament, in einer Enquetekommission, wie es zu der Katastrophe kam, wer welche Verantwortlichkeit trägt, was getan werden muss, um Folgen von Starkregen zu dämpfen und den Katastrophenschutz und die Steuerung der Hilfe zu verbessern.

Ich vergleiche die Kosten mit der Aufgabe der Bewältigung der Pandemie. Deshalb ist auch die EU zu fragen, was sie an Hilfe beisteuern kann. Für Rheinland-Pfalz hatten wir zur Pandemiebekämpfung ein Sondervermögen von 2 Milliarden Euro bereitgestellt.

Wichtig ist uns FREIEN WÄHLER, dass den Menschen in den Überschwemmungsgebieten an der Ahr und den vier Landkreisen im Westen mit der Stadt Trier schnell, umfassend und unbürokratisch geholfen wird. Dazu benötigt es auch Beschleunigungsgesetze!

Wichtig ist uns FREIEN WÄHLER aber auch, dass alle anderen Kommunen in Rheinland-Pfalz nicht in ihren Investitionsvorhaben gebremst werden – auch wenn das bedeutet, die Schuldenbremse auszusetzen!

Mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wird Licht ins Dunkel der Verantwortlichkeit gebracht.

Durch die von uns mit auf die Schienen gesetzte Enquete-Kommission, werden viele Detailfragen geklärt.

Ich wünsche mir die Ausrufung eines besonderen Sozialen Jahres für junge Menschen oder auch ältere im Bundesfreiwilligendienst für die Ahr, wenn die Kraft der freiwilligen Helfer nachlässt.

Die Spendenbereitschaft ist enorm und ein Zeichen von großer Solidarität. Und so trage ich noch den Wunsch heran, dass die Deutsche Post einen Sonderblock zur Fluthilfe auf den Weg bringt, damit auch jeder seine Hilfe ausdrücken kann und Deutschand den Opfer gedenkt.

Was ich aus meiner Tätigkeit als Landrat sagen kann, ist das größte Pfund des Katastrophenschutzes (KatS) ein eigenes ganzjähriges Katastrophenschutz-Zentrum (KatSZ). Denn hier kann zu jeder Zeit von der ganzen Blaulichtfamilie ausgebildet, geübt und Einsätze im Kreis begleitet werden. Damit kommt eine Routine im Zentrum und bei den Wehren in der Fläche, es kommt Vertrauen! Und während wir als Kreis früher nur schwer neue Leute zur Mitarbeit gewinnen konnten, ist das KatSZ jetzt ein Magnet – und die Blaulichtfamilie identifiziert sich damit. Nach der Antwort auf die Kleine Anfrage meines Kollegen Stephan Wefelscheid gibt es nur drei Zentren im Land.

Hier gehört es zum Strukturauftrag des Innenministeriums für das ganze Land einen Standard zu setzen und auch auszurollen. Dies ist ein wichtiger Auftrag für die Zukunft – auch für andere Katastrophen!

Auch wenn wir nicht alle Schrecken abwenden können – so müssen wir doch immer bestens vorbereitet sein!

Daher wollen wir unseren Beitrag leisten.

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, für den schnellen Wiederaufbau stehen wir FREIE WÄHLER an Ihrer Seite!

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