Nach Paragraph 1 Untersuchungsausschussgesetz hat der Untersuchungsausschuss die Aufgabe, Sachverhalte, deren Aufklärung im öffentlichen Interesse liegt, zu untersuchen und dem Landtag darüber Bericht zu erstatten, wobei der Gegenstand der Untersuchung sich aus dem Einsetzungsbeschluss ergibt. Nach Paragraph 28 erstattet der Untersuchungsausschuss dem Landtag einen begründeten Bericht über den Verlauf des Verfahrens, die ermittelten Tatsachen und das Ergebnis der Untersuchung, wobei dieser Bericht auch Empfehlungen enthalten kann.
In Erfüllung dieser gesetzlichen Verpflichtung und aus Respekt vor den 136 Toten, hunderten Verletzten und kaum zu ermessender Sachschäden bitte ich das Plenum um Verständnis, dass ich die nachfolgende Rede zum einen in gebotener Sachlichkeit, aber auch eng am Redeskript halten werde. Dem Recht aus Paragraph 28 Absatz 4 Untersuchungsausschussgesetz folgend werde ich Ihnen in verkürzter Form mein Sondervotum zu dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses vorstellen und insbesondere auf die Schlussfolgerungen eingehen, die sich nach meinem Dafürhalten aus den Erkenntnissen der Aufarbeitung der Flutkatastrophe ergeben haben. Da dies allerdings nur eine verkürzte Form darstellt, empfehle ich zur Vertiefung die Lektüre meines Sondervotums zum Abschlussbericht, beginnend mit Seite 2035. Doch zunächst möchte ich einen kurzen Blick auf die hinter uns liegende Arbeit werfen.
Der Untersuchungsausschuss hat, seiner besonderen Verantwortung entsprechend, professionell, sachlich und zielorientiert gearbeitet. Der Untersuchungsauftrag stand für die Mitglieder im Vordergrund. Und trotz des teils harten Tons in der Sache ist der Umgang miteinander nach meinem Erleben fair und kollegial geblieben. Dafür möchte ich insbesondere unserem Ausschussvorsitzenden, Ihnen, lieber Martin Haller, danken. Sie haben immer den richtigen Ton gefunden und den passenden Rahmen geschaffen, damit wir gut und konstruktiv arbeiten und debattieren und letztlich diesen Ausschuss zu einem Ende führen konnten.
Hervorheben möchte ich auch die hervorragende Zusammenarbeit mit dem Ausschusssekretariat. Frau Neef, Herr Dr. Hardt, Sie haben uns weit über das Erwartbare hinaus unterstützt, begleitet und bei Problemen jeder Art beraten. Ohne Ihren unermüdlichen Einsatz wäre dieser Untersuchungsausschuss nicht arbeitsfähig gewesen, daher möchte ich mich bei Ihnen, Frau Neef, und Ihnen, Herr Dr. Hardt, herzlich bedanken.
Einen ganz besonderen Dank möchte ich auch meinem eigenen Team aussprechen, allen voran unserer Fraktionsjustiziarin Victoria Wruuck.
Die zu bewältigende Aufgabe war enorm: In 47 Sitzungen mit knapp 300 Stunden wurden 226 Zeugen und 23 Sachverständige im Ausschuss vernommen, zwei Ortstermine im Ahrtal durchgeführt, Gutachten erstellt und Wissen zusammengetragen. Dies bildet die Grundlage des Abschlussberichtes und meines Sondervotums.
Bevor ich nun zum inhaltlichen Teil meiner Rede komme, möchte ich denjenigen danken, die es am meisten verdient haben:
Liebe Katastrophenschützer, Rettungskräfte, Feuerwehrleute, Bundeswehrsoldaten, freiwillige Helfer, Ehrenamtliche und Hauptamtliche und viele mehr, die ihr während und nach der Flut an der Rettung von Menschen beteiligt wart oder im Chaos nach der Katastrophe die Schäden beseitigt habt: Ihr habt vielfach Übermenschliches geleistet, dafür ist euch das ganze Land dankbar. Ihr seid die Helden in diesem tragischen Kapitel unseres Landes. Ihr seid Vorbild für unsere Gesellschaft. Euch sind wir als Politiker, aber auch als Bürger dieses Landes, zu Dank verpflichtet.
Meine Damen und Herren, wie durch den Einsetzungsbeschluss vorgezeichnet habe ich mich nachfolgend an den drei Phasen der Flut orientiert und mein Sondervotum nach diesen gegliedert. Hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit die Flutkatastrophe am 14. und 15. Juli 2021 vorhersehbar war und welche Maßnahmen im Vorfeld hätten ergriffen werden müssen, muss Folgendes festgestellt werden:
Angesichts der laut einhelliger Aussage der Experten (Bernhard Mühr, Prof. Dr. Hannah Cloke, Jörg Kachelmann, Prof. Christel Prudhomme, Prof. Dr. Gerhard Adrian, Dr. Renate Hagedorn; S. 2036 f.) zumindest grob vorhersehbaren Extremwetterlage hätte frühzeitig eine Sensibilisierung und Vorbereitung auf ein mögliches schweres Hochwasser seitens des zuständigen Klima- und Umweltministeriums (MKUEM) und des Landesamtes für Umwelt (LfU) erfolgen müssen. Das wurde jedoch versäumt.
Zudem wäre es nach Ressortprinzip die Pflicht der damaligen Ministerin Anne Spiegel und Staatssekretär Erwin Manz gewesen, klare und effektive Warnmeldungen herauszugeben, welche die betreffenden Behörden und Katastrophenschützer auf die anstehende Extremwetterlage hinreichend vorbereitet hätten. Denn nach § 11 Ziffer 7 der Anordnung über die Geschäftsverteilung der Landesregierung Rheinland-Pfalz fallen nämlich der Hochwasserschutz, das Hochwasserrisikomanagement sowie die Hydrologie- und Gewässerkunde und damit die fachliche Kompetenz und Verantwortung zur Beurteilung und Interpretation der vorliegenden Daten bei einer anstehenden Flutkatastrophe eindeutig in den Zuständigkeitsbereich des MKUEM. Doch es fehlte die entsprechende Kommunikation, sodass der Katastrophenschutz nicht angemessen auf das anstehende Extremereignis vorbereitet war und von der Flut in weiten Teilen überrascht wurde.
Die Aussage, dass es sich bei der Flut um ein völlig unvorhersehbares Ereignis gehandelt habe, kann dabei als widerlegt betrachtet werden, wie ich in meinem Sondervotum zur Phase eins (S. 2036-2038) ausführlich dargelegt habe. Angesichts der Erfahrungen aus dem Hochwasser 2016 sowie den historischen Hochwässern 1804 und 1910 und der besonderen Topographie des Ahrtals war vor dem Hintergrund der verschiedenen Wetterprognosen zumindest grundlegend erkennbar, welche Gefahr dort drohen könnte. Bereits ab dem 12. Juli hätte man angesichts dieser Prognosen erste Maßnahmen vorbereiten können, wie auch im Landkreis Bitburg-Prüm geschehen.
Letztlich führten die Fehleinschätzungen betreffend das anstehende Extremwetterereignis und die damit zusammenhängenden Versäumnisse und Pflichtverletzungen dazu, dass Katastrophenschützer nicht ausreichend sensibilisiert und Menschen nicht angemessen vorgewarnt wurden.
Es hätte dabei zuvorderst an Ministerin Anne Spiegel und Staatssekretär Erwin Manz gelegen, den gesamten Zuständigkeitsbereich dafür zu sensibilisieren, welche Bedeutung ihre fachliche Arbeit für die Einschätzung der Lage im Katastrophenschutz mit sich bringt. Dass dies nicht erfolgt ist, dafür trägt die Hausspitze des Ministeriums die politische Verantwortung. Denn aus Wissen folgt Verantwortung.
Hinsichtlich der Frage, ob Warnungen, und wenn ja, welche, während der Flutkatastrophe am 14./15. Juli 2021 durch verantwortliche Stellen ausgesprochen bzw. veranlasst wurden, muss Folgendes festgestellt werden:
Seitens der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) und des Landkreises Ahrweiler wurde versäumt, im Vorfeld die vorhandene Warninfrastruktur zu testen, die in der Flutnacht letztlich nicht wie vorgesehen funktionierte. Zudem hatte es der Landkreis Ahrweiler versäumt, hinreichend Personen in der Technischen Einsatzleitung (TEL) mit dem Einsatz dieser Infrastruktur vertraut zu machen. Darüber hinaus fehlten aufgrund der Überlastungssituation in der TEL entsprechende personelle Kapazitäten, um diese zu bedienen.
Ministerin Anne Spiegel verletzte ihre Pflicht, umfassend und den vorliegenden Prognosen und Pegelständen entsprechend zu warnen und sich als in dieser Phase Hauptverantwortliche aktiv in das Geschehen einzubringen, anstatt dies Staatssekretär Erwin Manz zu überlassen. Sie hätte ihre Rolle als Ministerin ausfüllen und, wie es Krisenforscher Frank Roselieb ausdrückte, das Gesicht der Krise sein müssen. Denn geführt wird von oben, insbesondere gilt das in Krisenzeiten.
Als deutlichen Fehler sowohl der Ministerin Anne Spiegel als auch des Staatssekretärs Erwin Manz ist die am 14. Juli 2021 noch um 16.43 Uhr durch das MKUEM ausgegebene Pressemeldung zu sehen. In dieser wurde Entwarnung gegeben und behauptet, es drohe kein Extremhochwasser – gerade mal eine halbe Stunde bevor um 17.17 Uhr die höchste Hochwasserwarnstufe „lila“ ausgegeben wurde. Diese Pressemeldung beruhte nicht auf dem aktuellen Lagebild und führte zu Fehlinformationen an vielen relevanten Stellen. Zu allem Überfluss wurde sie dann nach Bekanntwerden der tatsächlichen Lage nicht mal zeitnah korrigiert. Dies hatte dramatische Konsequenzen, wie wir alle leider wissen.
Darüber hinaus unterließ es Umweltministerin Anne Spiegel, ihre Kollegen im Kabinett und insbesondere Ministerpräsidentin Malu Dreyer über die sich anbahnende Katastrophe umfassend zu informieren. Stattdessen konzentrierte sie sich auf einen möglichst normalen Dienstbetrieb im Rahmen der Plenarsitzung und am Morgen des 15. Juli auf die Abwendung eines so bezeichneten „Blame Games“, um ihre Reputation zu schützen.
So befanden sich die anderen, potenziell zuständigen Mitglieder des Kabinetts weitgehend im Unklaren über die Dramatik dessen, was dort über das Ahrtal hereinbrach. Dies mag auch Erklärung dafür sein, dass Ministerpräsidentin Malu Dreyer nicht Gebrauch von ihrer substitutiven Allkompetenz machte und die Führung übernahm. Ich gehe davon aus, dass die Ministerpräsidentin tatsächlich nicht wusste was vorging.
Letztlich hat Ministerin Anne Spiegel die Verantwortung für Fehler übernommen und ist von ihrem Amt als Bundesministerin zurückgetreten. Daher will ich meine Ausführungen zu ihrer Rolle in der Flutkatastrophe an dieser Stelle beschränken. Nicht so aber Staatssekretär Erwin Manz, dem die Ministerin am Tag und in der Nacht der Flut nach eigener Aussage vollends vertraute und auf den sie sich praktisch blind verließ.
Staatssekretär Erwin Manz verletzte seine Pflicht, Informationen seiner Verantwortung entsprechend weiterzuleiten und versäumte es, aktiv und umfassend vor der Katastrophe zu warnen. Weder leitete er die dramatischen Schilderungen der damaligen Verbandsgemeinde-Bürgermeisterin Cornelia Weigand umgehend an die Landesspitze weiter, noch schlug er Alarm, als der Katastrophenfall in der Vulkaneifel ausgerufen und die Situation an der Ahr immer kritischer wurde. Stattdessen bereitete er „Aktivitäten“ für den nächsten Tag vor und sah seine Meldepflicht mit einem kurzen Anruf im Innenministerium als erfüllt an.
Zusammenfassend war sein Lösungsansatz: Schlicht die Situation am nächsten Tag abwarten. Oder anders ausgedrückt: Abwarten statt Handeln. Eine Verfolgung der weiteren Geschehnisse in die Nacht hinein, abgelehnt. Stattdessen entsprechend der gewohnten Tagesroutine, ich zitiere seine Aussage im Ausschuss mit Erlaubnis des Präsidenten, „noch die Tagesthemen geschaut und ein Bierchen getrunken und in absehbarer Zeit danach schlafen gegangen“. Sein Fazit: An der Situation hätte er ohnehin nichts ändern können.
Ich meine: Hätte Staatssekretär Erwin Manz die Lage hingegen richtig eingeschätzt und seine Regierungskollegen darüber aufgeklärt, wäre die Bewältigung der Flutnacht sicher anders verlaufen. Innenminister Roger Lewentz wäre dann in Kenntnis der Sachlage wohl kaum aus der Technischen Einsatzleitung in Ahrweiler abgereist.
Und damit bin ich bei der Einsatzleitung in der Flutnacht. An dieser Stelle möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten den bekannten Wetterexperten Jörg Kachelmann zitieren, der als Sachverständiger im Ausschuss ausgesagt hatte: „Niemand muss sterben bei einer solchen Wetterlage, wenn alle das Richtige tun. Niemand muss sterben!“
Hinsichtlich der Frage, welche Handlungen und sonstigen Maßnahmen während der Flutkatastrophe am 14./15. Juli 2021 durch verantwortliche Stellen erfolgt und umgesetzt worden sind, muss Folgendes festgestellt werden:
Die ADD schätzte die Schwere der Katastrophe im Ahrtal falsch ein und versäumte es, hier explizit ADD-Präsident Thomas Linnertz, ihrer Nachforschungsobliegenheit nachzukommen, um die Überforderung der Kräfte vor Ort zu erkennen und anschließend die Übernahme der Einsatzleitung vorzunehmen. Denn diese hätte ADD-Präsident Thomas Linnertz als oberster Katastrophenschützer des Landes in der Nacht der Flut gemäß § 6 Nr. 1b Brand- und Katastrophenschutzgesetz (LBKG) innegehabt, wie die renommierten Rechts-Sachverständigen Prof. Dr. Bernd Grzeszick und Prof. Dr. Christoph Gusy umfassend dargelegt haben (S. 2054 f.). Auch einen Führungsstab, der nach dem Rahmen- Alarm- und Einsatzplan Hochwasser des Landes (RAEP Hochwasser) ab Warnstufe 5 vorgesehen ist, berief ADD-Präsident Thomas Linnertz nicht ein.
Weiter verletzte der Landkreis Ahrweiler seine Pflicht zur Aufstellung eines Alarm- und Einsatzplans, der für eine geordnete Bewältigung der Flut und insbesondere bei der rechtzeitigen und umfassenden Durchführung von Evakuierungen dringend nötig gewesen wäre. Zudem fehlte es an einem Verklausungskonzept und dem Vorhalt entsprechender Sachmittel zur Beseitigung von sog. Verklausungen (also dem teilweise oder vollständigen Verschluss eines Fließgewässerquerschnittes infolge angeschwemmten Treibgutes oder Totholzes), die letztlich ursächlich für einen großen Teil der Zerstörungskraft der Flutwelle waren. Die Beweisaufnahme hat gezeigt, die ADD kam ihrer zumindest politischen Pflicht zur Kontrolle der Aufstellung solcher Alarm- und Einsatzpläne nicht nach. Hier stellt sich für mich auch die Frage, wieso dem Innenministerium dies nicht aufgefallen war.
Innenminister Roger Lewentz, dem durch das LBKG keine direkte Einsatzleitung oktroyiert war, hat aufgrund des Umstandes, dass die Foto- und Videoaufnahmen der Aufklärungsflüge des Polizeihubschraubers zu keinen realen Einflüssen auf das Einsatzgeschehen in der Flutnacht geführt haben, die politische Verantwortung übernommen um Schaden von seinem Haus abzuwenden. Dem zolle ich Respekt. Ganz im Gegensatz zu dem eigentlich durch das LBKG Hauptverantwortlichen, nämlich ADD-Präsident Thomas Linnertz. Dessen Pflicht wäre es in der Flutnacht gewesen, die nachweisbar bei ihm eingetroffenen dramatischen Luftbildaufnahmen anzusehen und auszuwerten und basierend darauf entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Innenminister Roger Lewentz hat Verantwortung übernommen. ADD-Präsident Thomas Linnertz nicht. Er ist nach wie vor im Amt.
Doch ganz ohne Zweifel wiegt die Pflichtverletzung von einer Einzelperson bei der Flutkatastrophe besonders schwer: Dem damaligen Landrat des Landkreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler. Obwohl er die Einsatzleitung in der Flutnacht innehatte, war er abgesehen von dem Fototermin mit Innenminister Lewentz, um dort den Anschein einer funktionierenden Einsatzzentrale zu erwecken, nicht in der TEL anwesend und darüber hinaus höchstens sporadisch erreichbar. Stattdessen rettete er sein eigenes Hab und Gut und warnte allenfalls persönliche Bekannte vor der Flut.
Darüber hinaus unterließ der ehemalige Landrat es, ein vorschriftgemäßes und hinreichend ausgestattetes Führungssystem inklusive Verwaltungsstab vorzuhalten. Vielmehr sprengte er das vorgesehene Katastrophenschutzsystem, wie es Krisenforscher Frank Roselieb formulierte, indem er diese entscheidende Komponente und auch sich selbst aus dem Spiel nahm. Dies führte unter anderem zu Überlastungen in der ohnehin völlig unzureichend ausgestatteten und personell unterbesetzten sowie nicht ausreichend geschulten TEL des Landkreises, die somit in ihrer Handlungsfähigkeit noch weiter beschränkt war und kaum mehr adäquat auf die eintreffenden Meldungen reagieren konnte.
Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen im Führungssystem des Landkreises waren die Folge. Weder konnte ein umfassendes Lagebild erstellt noch eine situationsangemessene Kommunikation zu den übergeordneten Stellen etabliert und dringend benötigte Hilfe angefordert werden. In letzter Konsequenz wurde es dann auch versäumt, rechtzeitig und umfassend Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen aus dem Gefahrenbereich zu evakuieren. Dass dafür Zeitfenster bestanden hätten, hat der Sachverständige Prof. Dr. Gißler im Ausschuss ausführlich dargelegt. Und auch Personal zur Durchführung solcher Evakuierungen wäre wohl herbeizuholen gewesen, etwa bei der Bundeswehr. Doch fehlte die Kenntnis der Lage, und vielmehr noch fehlte das eigentlich dafür zuständige Personal: Der Landrat und sein Verwaltungsstab.
Und so bleibt festzuhalten: Menschen hätten gerettet werden können. Doch dieser Landrat entschied sich eigenmächtig dafür, keine Schulungen im Bevölkerungsschutz wahrzunehmen. Er meinte, trotz entsprechender Hinweise seines Brand- und Katastrophenschutzinspekteurs kein der einschlägigen Dienstvorschrift DV 100 entsprechendes Führungssystem aufzubauen und vorzuhalten. Und letztlich lehnte er in der Flutnacht seine Rolle als oberster Katastrophenschützer des Landkreises ab und überließ der völlig unzureichend aufgestellten TEL die Bewältigung der schlimmsten Naturkatastrophe, die unser Land Rheinland-Pfalz seit seinem Bestehen erleben musste.
Die juristische Verantwortung für dieses Fehlverhalten mit katastrophalen Folgen bleibt zu klären, insbesondere die dienstrechtlichen Konsequenzen, die sich für Jürgen Pföhler daraus ergeben.
Die politische und moralische Gesamtverantwortung auf Ebene des Landkreises Ahrweiler ist meines Erachtens jedoch klar beim zuständigen Landrat Jürgen Pföhler zu verorten. Diese Ausgangssituation einer unorganisierten Einsatzleitung wirkte sich bedauerlicherweise auch auf die Bewältigung der Folgen der Flut in den Tagen danach aus.
Für die Frage, wie ab dem 16. Juli 2021 bis zur Einsetzung des Vor-Ort-Beauftragten der Landesregierung am 6. August 2021 die Bewältigung der Flutkatastrophe und ihrer Folgen durch die Landesregierung, ihre nachgeordneten Behörden und allen sonstigen öffentlichen Stellen organisiert, praktisch wahrgenommen und umgesetzt wurde, muss Folgendes festgestellt werden:
Sowohl der Landkreis Ahrweiler als auch insbesondere die ADD als zuständige Katastrophenschutzbehörde versäumten es, hinreichendes und hinreichend qualifiziertes Personal vorzuhalten, um in den Tagen nach der Flut ein leistungsfähiges Führungssystem zur Begrenzung der Schäden und zur Versorgung der Bevölkerung in Einsatz zu bringen.
Weiter versäumte es die Hausspitze der ADD, die DV 100 mit entsprechenden Handlungsanweisungen und Konkretisierungen zu flankieren. ADD-Vizepräsidentin Begoña Hermann in dieser schwierigen Phase einen Urlaub antreten zu lassen und so auf wichtige organisatorische Kapazitäten zu verzichten, ist klar als Fehler zu werten.
Die mangelhafte Organisationsstruktur, die schon durch die späte Übernahme der schlecht aufgestellten Einsatzleitung des Landkreises vorgezeichnet war, resultierte in einer tagelangen Chaosphase. In dieser konnten sich weder die Kommunen, noch die Betroffenen, noch die hinzugekommenen freiwilligen und hauptamtlichen Helfer auf eine funktionierende Kommunikation verlassen. Über Tage und Wochen, wohl teils bis Anfang August, fand so keine oder kaum Kommunikation zwischen manchen Kommunen und den höheren Ebenen statt. Auch aus anderen Bundesländern hinzugezogene Kräfte im Verwaltungsstab der ADD schilderten die Einarbeitung und Arbeit als holprig und chaotisch.
Zusammengefasst zeichnet sich ein Bild des Versagens der ADD unter der verantwortlichen Leitung des ADD-Präsidenten Thomas Linnertz bei der Übernahme der Einsatzleitung und der Bewältigung der Katastrophenlage. Das notwendige Wissen und die organisatorische Kompetenz seitens der ADD scheinen nicht hinreichend vorhanden gewesen zu sein, vielmehr musste man sich die notwendigen Fähigkeiten im „learning by doing“ aneignen. Der effiziente Einsatz der vorhandenen Ressourcen konnte so nicht sichergestellt werden. Vielmehr hat der häufige Wechsel verantwortlicher Positionen ohne angemessene Übergaben sowie die scheinbare Unkenntnis zentraler Funktionsweisen der Stabsarbeit den Einsatz substanziell behindert. Dem hätte mit der entsprechenden Schulung und Vorbereitung eines Verwaltungsstabes sowie durch dessen frühzeitiges Einrichten vorgebeugt werden können, so wie es die DV 100 auch vorschreibt. Ebenfalls fehlten die entsprechenden Alarm- und Einsatzpläne gemäß § 6 LBKG sowie die darauf beruhenden Handreichungen und Anweisungen, um eine schnelle und reibungslose Übernahme des Einsatzes zu ermöglichen.
In der zusammenfassenden Betrachtung lässt sich feststellen, dass es in den Tagen vor, während und nach der Flutkatastrophe zu einem Versagen von staatlichen Strukturen im weiteren Sinne gekommen ist. Hervorzuheben ist dabei insbesondere die Rolle und die Verantwortung von Ministerin Anne Spiegel und ihres Staatssekretärs Erwin Manz, von ADD-Präsident Thomas Linnertz sowie von Landrat Jürgen Pföhler.
Anne Spiegel, Roger Lewentz und Jürgen Pföhler sind nicht mehr in ihrem Amt. ADD-Präsident Thomas Linnertz und Staatssekretär Erwin Manz haben jedoch nicht die Verantwortung für ihre Fehler, Versäumnisse und Pflichtverletzungen übernommen. Sie beide sind weiter im Amt und mussten sich bisher nicht für ihr Verhalten verantworten. Neben dem Landrat Jürgen Pföhler und Ministerin Anne Spiegel sind sie jedoch erkennbar diejenigen, an denen letztlich die rechtzeitige und umfassende Warnung von Menschen vor und während der Flut scheiterte. Daher sind sie in ihrem Amt nicht haltbar.
Insgesamt betrachtet muss festgestellt werden, dass menschliches Versagen für unterbliebene Warnungen und nicht erfolgte Evakuierungen eine wesentliche Rolle gespielt hat. Das rheinland-pfälzische Katastrophenschutzsystem hat in dieser Flutkatastrophe erhebliche Defizite offenbart, die es schnellstmöglich abzustellen gilt.
Bevor ich gleich zu essentiellen Lehren aus der Flutkatastrophe komme, hier noch einige Anmerkungen zu der im allgemeinen sehr guten Arbeit des Ausschusses. Denn leider gab es auch einige Vorgänge im Zusammenspiel mit der Landesregierung und ihr untergeordneten Behörden, die der Arbeit des Untersuchungsausschusses abträglich waren.
Sei es das verspätete, zufällige Auftauchen von Helikoptervideos vom Abend der Flut, deren Existenz erst durch die minutiöse Arbeit des Ausschusses aufgedeckt wurde, obwohl diese Videos dem Ausschuss ohne jede Frage hätten vorgelegt werden müssen. Sei es die Visualisierung des Flutgeschehens, die ebenfalls dem Ausschuss nicht gemäß der Vereinbarung mit der Landesregierung zur Verfügung gestellt wurde. Oder seien es die von der Staatsanwaltschaft Koblenz beauftragten Gutachten zu den Führungsleistungen der Technischen Einsatzleitung im Kreis Ahrweiler, von denen die Abgeordneten durch die Presse erfahren mussten und die dem Ausschuss erst mit Verzögerung und nach deutlichem Druck zur Verfügung gestellt wurden. Details hierzu entnehmen Sie bitte meinem Sondervotum im Kapital Verfahrenskritik (S. 2088-2092).
Doch jetzt möchte ich noch den Blick in die Zukunft richten und der Landesregierung einige Punkte mit auf den Weg geben, die im Rahmen der akribischen Arbeit betreffend den rheinland-pfälzischen Katastrophenschutz auffällig geworden sind. Dies soll keinen Eingriff in die gute Arbeit der Enquete-Kommission darstellen, sondern lediglich exemplarisch einige der Punkte hervorheben, die für mich im Rahmen des Ausschusses besondere Bedeutung erlangt haben.
So hat sich etwa gezeigt, dass in manchen Kommunen ein unzureichender Kenntnisstand über das Problem der Verklausung besteht. Teils werden weder Konzepte noch Einsatzmittel vorgehalten. Dies muss sich ändern, zudem sollten Brückenneubauten nur noch so errichtet werden, dass sie dem Abfluss eines 100-jährlichen Hochwassers (HQ100) gewachsen sind.Auch müssen die Erkenntnisse aus früheren, auch historischen, Extremereignissen stärker in den lokalen Hochwasserschutz einbezogen werden. Aus der Vergangenheit können wir für die Zukunft lernen und uns für das wappnen, was uns bevorsteht.
In der Flut hat sich zudem gezeigt, dass manchen Entscheidungsträgern nicht eindeutig klar ist, welche Zuständigkeiten in welcher Situation bei wem liegen. Im Katastrophenfall darf es hier keinen großen Interpretationsspielraum geben. Jedem muss von Gesetz her klar sein, wann der Kreis, wann das Land die Einsatzleitung übernehmen muss. So theoretisch sinnvoll die Möglichkeit einer variablen Einsatzleitungsübertragung auch sein mag: Die Katastrophe im Ahrtal hat mir deutlich gezeigt, dass dieser Ansatz nicht weiter verfolgt werden sollte. Für Großschadenslagen und Katastrophenfälle, die mehrere Landkreise betreffen, muss die Einsatzleitung immer beim Land liegen. Dafür müssen entsprechende Ressourcen vorgehalten werden. Denn für das Führen in Extremlagen ist für Zuständigkeitsfragen kein Raum.
Weiter wurde deutlich, dass die Rechtsaufsicht der ADD nicht ausreichend ist. Es braucht eine Fachaufsicht, die aktiv dafür Sorge trägt, dass die Kommunen einen funktionierenden Katastrophenschutz unterhalten. Hier ist kein Platz für Individualismus, die Basics müssen laufen!
Das gilt ebenfalls für das Warnwesen. Denn hier gab es in der Flutnacht ein systemisches Versagen, dass dazu geführt hat, dass Menschen nicht vor den Fluten fliehen konnten, sondern ahnungslos in ihren Betten überrascht wurden. Das Modulare Warnsystem muss daher in der Anwendung vereinfacht und die dafür Zuständigen angemessen geschult werden, das war im Kreis Ahrweiler nicht der Fall. Ebenfalls muss die direkte Kommunikation mit den Integrierten Leitstellen (ILS) im Katastrophenfall sichergestellt werden, etwa durch einen Verbindungsmann aus dem betroffenen Gebiet in der ILS, um dort auch mit lokalem Wissen zu unterstützen. An dieser Stelle könnte ich noch einige weitere Punkte aufführen, Details können Sie auch hier den Empfehlungen in meinem Sondervotum entnehmen (S. 2093-2097).
Ich komme zum Schluss. Ja, das war eine Naturkatastrophe extremen Ausmaßes, die nur selten vorkommt. Aber in der Theorie wäre das System eigentlich tauglich gewesen, um dieser Katastrophe zu begegnen. Doch das rheinland-pfälzische Katastrophenschutzsystem hat den Lackmus-Test nicht bestanden. Die umfassende Novellierung des LBKG 2020 war zwar schön gedacht, hat sich aber als nicht ausreichend herausgestellt. Dies gepaart mit menschlichem Versagen hat Menschenleben gekostet.
Um es mit Kachelmanns Worten zu sagen: „Niemand muss sterben bei einer solchen Wetterlage, wenn alle das Richtige tun. Niemand muss sterben!“
Es gilt das gesprochene Wort.